‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Blackout des Monats: Hans-Werner Sinn verfehlt das Thema

Der Blackout des Monats Februar geht an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Institutes.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in München, erhält den Blackout des Monats Februar für seine Worte im Manager-Magazin vom 5. Februar: „Die einzige Hoffnung der Menschheit war die Atomkraft, und jetzt ist Deutschland auf dem großen Irrweg. Es macht sich schuldig an zukünftigen Generationen und ist ein schlechtes Beispiel für andere Länder. Die Schäden in der Natur durch die Atomkraft sind minimal im Verhältnis zu den verheerenden Schäden durch Kohlendioxid in der Atmosphäre. Wenn es noch einen dritten Weg gäbe, wäre es schön, aber der steht nicht wirklich zur Verfügung.“

Fachliche Begründung: Die geradezu „biblischen“ Ausführungen von Professor Sinn verfehlen gänzlich das Thema. Die erneuerbaren Energien sind die Energieform mit den wenigsten sekundären Auswirkungen, und die Gestehungspreise der Anlagen sind dank der deutschen Entwicklung mittlerweile so niedrig, dass gerade Wind- und Photovoltaik-Anlagen global errichtet und betrieben werden können.

Während in Großbritannien die Atomkraft voraussichtlich elf Cent pro Kilowattstunde feste Vergütung für 35 Jahre mit Inflationsausgleich zugesprochen bekommt, fallen die Zahlungen an Sonne und Wind in Deutschland unter zehn Cent pro Kilowattstunde für 20 Jahre. Das ist eine riesige Chance für eine gerechte und saubere Energiegewinnung weltweit.

Sinn ignoriert die Schäden an Natur und Mensch

Wenn jemand wie Hans-Werner Sinn etwas anderes behauptet, dann spricht er für eine Industrie, die im letzten Aufbäumen versucht, Einnahmen und Subventionen zu sichern. Denn fossile und nukleare Energiequellen werden noch einige Zeit parallel zu den erneuerbaren genutzt. Das ist logistisch unumgänglich. Aber selbst Staaten wie China oder Indien, die sehr auf Kohle und Atom gesetzt haben, sind in einem intensiven Umstrukturierungsprozess. Erneuerbare Energien werden dort massiv ausgebaut. Indien zum Beispiel möchte laut dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut bis 2022 knapp die Hälfte des Energiebedarfs mit regenerativen Energien decken.

Gleichzeitig ignoriert Sinn die Schäden an Natur und Mensch durch die Atomkraft. Es ist ihm anscheinend nicht mehr im Bewusstsein, welche verheerenden Folgen die Atomkatastrophen in MajakWindscale,HarrisburgTschernobyl und Fukushima gebracht haben und immer noch bringen. Betrachtet man nur die genetischen Fehlbildungen, so gab es durch den GAU in Tschernobyl allein in Bayern 1.000 bis 3.000 zusätzliche Fehlbildungen. Für Europa wird die Zahl auf bis zu 10.000 schwerwiegende Fehlbildungen geschätzt. Unter Bezug auf UNSCEAR, das wissenschaftliche Strahlenkomitee der Vereinten Nationen, kommt man auf 12.000 bis 83.000 mit genetischen Schäden geborene Kinder in der Region Tschernobyl und auf 30.000 bis 200.000 weltweit.

Betrachtet man bei der Havarie der Atomkraftanlagen in Fukushima allein das Auftreten von Schilddrüsenkrebs bei Kindern, so ergibt sich ebenfalls ein erschreckendes Bild. Bei der Untersuchung von 175.000 Kindern wurden in 43 Prozent der Fälle gutartige Zysten oder Knoten in der Schilddrüse festgestellt. Diese auffälligen Befunde gelten bei Kindern, anders als bei Erwachsenen, als Vorstufe von bösartigen Veränderungen.

Auch ohne Katastrophe schadet Atomkraft, vor allem Kindern

Ganz abgesehen von großen Unfällen, ist auch der Normalbetrieb eines Atomkraftwerks für die Umgebung, besonders für Kinder, gefährlich. Das zeigt die Kinderkrebsstudie von 2007, die immer wieder verdreht dargestellt wird. Fakt ist, dass Kinder, die im Umkreis von bis zu fünf Kilometern um ein deutsches Atomkraftwerk aufwachsen, ein um 60 Prozent erhöhtes Risiko haben, an Krebs zu erkranken – das ergab die Studie „Atomkraftwerke machen Kinder krank“ der Organisationen IPPNW und Ausgestrahlt. Ihr Risiko, an Leukämie (Blutkrebs) zu erkranken, ist laut dieser Studie sogar um 120 Prozent erhöht – also mehr als doppelt so hoch wie bei Kindern, die nicht in der Nähe eines Atomkraftwerks wohnen.

„Leukämie gehört zu den Krebsarten, die besonders leicht durch radioaktive Strahlung hervorgerufen werden. Selbst im Abstand von 50 Kilometern von einem AKW ist das Krebsrisiko bei Kindern noch erhöht“, heißt es in der Studie weiter. Die Ergebnisse der epidemiologischen Untersuchung seien im Nahbereich sogar statistisch hoch signifikant. „Das bedeutet, dass die nachgewiesene Häufung von Krebsfällen rings um Atomkraftwerke nicht durch Zufall erklärt werden kann.“ Bundesweit seien von 1980 bis 2003 bis zu 275 Kleinkinder nur deshalb an Krebs erkrankt, weil sie in der Nähe eines Atomkraftwerks wohnten.

Abbau, Verarbeitung, Endlagerung: Überall nur Schäden

Auch schon vor seiner Nutzung sorgt der Kernbrennstoff Uran für verheerende Schäden: 99 Prozent der Gesteine beim Uranabbau sind Abfall – der mehr oder weniger radioaktiv auf verschiedene Art und Weise übrig bleibt und untergebracht oder gelagert werden muss. In Frankreich gab es erst vor kurzem einen Aufschrei der Empörung, als klar wurde, dass Gestein aus dem Uranabbau zum Hausbau verwendet wurde.

Im weiteren Verarbeitungsprozess wird aus dem Gestein mit chemischen Prozessen das Uran herausgelöst. Zurück bleiben giftige Flüssigkeiten, sogenannte Tailings. Die Tailings setzen noch über tausende Jahre bis zu 85 Prozent ihrer ursprünglichen Radioaktivität frei und verseuchen vor allem in Australien, den USA und Afrika die indigene Bevölkerung über Winde oder Grundwasser.

Das gewonnene Uran muss getrennt werden in spaltbar und unbrauchbar. Das unbrauchbare, sogenannte depleted uranium, wurde aus der deutschen Urananreicherungsanlage in Gronau zum Teil nach Russland geliefert und dort unter freiem Himmel gelagert. Es taucht aber auch in Uranmunition wieder auf, die im Balkankrieg und im Irakkrieg genutzt wurde und so ganze Genpools der ortsansässigen Bevölkerung irreversibel zerstört hat.

Es folgen die Nutzung und die sogenannte Wiederaufbereitung. Beides sind Verarbeitungsschritte mit hohem Risikopotenzial und vielen Störfällen. Am Ende steht die ungeklärte Endlagerung für Jahrmillionen.

Es zeigt sich also, wenn die biblische Darstellungsweise mit Fakten unterlegt wird, dass die Perspektive von Hans-Werner Sinn mit Verharmlosungen, Falschinformationen und geradezu teuflischen Verdrehungen gespickt ist. Wir können stolz und dankbar sein, dass Deutschland die erneuerbaren Energien so sehr unterstützt hat, dass sie mittlerweile weltweit marktfähig geworden sind.

Quelle

KLIMARETTER.INFO | Trudel Meier-Staude 2014Die Umweltaktivistin Trudel Meier-Staude lebt in München und engagiert sich seit vielen Jahren für einen konzernunabhängigen StrommarktMehr Informationen zum Blackout des Monats und zu energie neu denken

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren