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Das Hybridmarktmodell für private Stromkunden als Alternative zur Infrastrukturumlage

Schmutzige Mega-Kraftwerke, die gar nicht oder selten laufen und dennoch permanent Geld einspielen: Der Traum der Energieriesen und Albtraum umweltbewusster Verbraucher könnte schon bald Realität werden. Denn wenn die geplante Infrastrukturumlage zur Bereithaltung von Grundlastkapazität für den Strommarkt tatsächlich kommt, rechnet sich das vor allem für E.ON, Vattenfall und Co.; die Zeche aber zahlen die privaten Stromkunden. Doch was steckt hinter der für die Einführung so genannter Kapazitätsmärkte vorgesehenen Infrastrukturumlage – und gibt es Alternativen? Von Thorsten Zoerner

Im Zuge der Anfang April durch das Bundeskabinett auf den Weg gebrachten Novelle der Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wurde auch heftig über die von großen Stromversorgern geforderten Kapazitätsmarktmechanismen debattiert. Gut möglich, dass diese bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetzestextes im Herbst 2014 noch Einzug in diesen finden. Über so genannte Kapazitätsmärkte sollen Schwankungen bei der Erzeugung erneuerbarer Energien vornehmlich aus Wind- und Sonnenkraft ausgeglichen werden.

Grundgedanke ist, dass leistungsstarke und schnell anfahrbare Reservekraftwerke vorgehalten (und den Betreibern dauerhaft vergütet) werden, die bei Bedarf Leistungsschwankungen ausgleichen und so nicht nur für eine ausreichende Stromversorgung Deutschlands, sondern auch für die Stabilität der Übertragungsnetze sorgen. Die großen deutschen Energieversorger setzen hier insbesondere auf moderne Gaskraftwerke und alte, kostengünstig zu betreibende Kohlekraftwerke. Beide Kraftwerkstypen können (etwa im Gegensatz zu Atomkraftwerken) kurzfristig angefahren werden und somit schnell Strom in die Netze einspeisen.

Da erzeugter Strom nach dem heutigen Modell lediglich vergütet wird, wenn er über den allgemeinen Strommarkt gehandelt wird (und dort Abnehmer findet), würde sich die Vorhaltung (und regelmäßige Wartung) von Grundlastkraftwerken zur Sicherung des Strombedarfs bei Erzeugungsengpässen nicht rechnen. Es sei denn – und das ist der Grundgedanke der Infrastrukturumlage – die Abnehmer zahlten dauerhaft für diese Reservekapazitäten, unabhängig von ihrem tatsächlichen Einsatz. Eben diese Konstruktion streben zahlreiche Lobbyorganisationen der Strombranche an – und stoßen damit im zuständigen Wirtschaftsministerium nicht nur auf taube Ohren. Experten haben auch schon durchgerechnet, was eine solche Lösung kosten würde. Sie kamen auf 0,67 bis 1,5 Cent zusätzliche Stromkosten je Kilowattstunde. Zahlen müssten die (privaten) Verbraucher…

Dass ein hochtechnisiertes Industrieland wie die Bundesrepublik eine zuverlässige Stromversorgung braucht, ist unstrittig. Und klar ist auch, dass extreme Schwankungen bei der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien die sensiblen Stromleitungsnetze destabilisieren und die Gefahr von Blackouts bergen. Andererseits produzierte Deutschland im Jahr 2013 weit mehr Strom, als hierzulande verbraucht wurde – 33 Terrawattstunden Strom wurden exportiert; und das trotz rückläufiger Erzeugung aus Atomkraftwerken. Und das vor allem von der Industrie- und Energielobby immer wieder bemühte Schreckgespenst großer Blackouts trat selbst im kalten Winter 2012/2013 nicht in Erscheinung. Braucht es also einen Kapazitätsmarkt mit unpopulärer Infrastrukturumlage?

Experten meinen: nicht unbedingt. Neben der Entwicklung und dem Bau großer Stromspeicher, der noch nicht marktreifen Methanisierung von erneuerbarem Strom, dem Bau großer (Gleichstrom-) Übertragungsleitungen von Nord nach Süd zum Transport des relativ gleichmäßig verfügbaren On- und Offshore-Windstroms aus den Küstenregionen, favorisieren einige auch das so genannte Hybridmarktmodell vornehmlich für private Stromkunden. Grundgedanke hier ist, dass Privathaushalte anders als produzierende Betriebe in der Lage sind, ihren Stromverbrauch individuell zu steuern. Der Betrieb der Spül- oder Waschmaschine, des Trockners, gegebenenfalls sogar die Nutzung anderer stromverbrauchenden Geräte kann gezielt darauf abgestimmt werden, dass Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht.

Während auch Privathaushalte, die heute so genannte Ökostromkunden ihrer Stromversorger sind, letztlich mit „Graustrom“ – also dem in der Leitung aktuell vorhandenen Strommix – versorgt werden, könnten Teilnehmer am Hybridmodell bewusst entscheiden, welche Sorte Strom sie beziehen möchten. Hierzu würden Verträge mit alternativen Energieerzeugern abgeschlossen, deren Energie primär – also im Regelfall – abgenommen wird. Steht diese nicht zur Verfügung, kann der private Haushalt bewusst auch auf konventionelle Ersatzanbieter umsteigen. Über ein Online-Portal würde der Kauf der unterschiedlichen Kapazitäten dokumentiert und abgerechnet. Das Hybridmarktmodell ist damit eine intelligente Lösung, die bei zunehmendem Einsatz die Schwankungen bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von der Verbrauchsseite her abfedern und ohne dauerhafte Mehrkosten und Subventionierung der Energieriesen zur Versorgungs- und Netzstabilität in Deutschland beitragen kann.

Über blog.stromhaltig

Stromhaltig entstand aus der Grundidee mehr Nachhaltigkeit beim Stromverbrauch zu erzielen. Entwickelt hat sich daraus eine Biographie des Stromnetzes und der Energiewende. Heute ist der Blog das führende Medium bei der Berichterstattung zur Marktintegration der Erneuerbaren Energie.

Quelle

blog.stromhaltig | Thorsten Zoerner

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