Der Dalai Lama und die Toleranz
Vor der FraPort-Arena in Frankfurt/Main ruft ein Parkwächter seinem Kollegen zu: „Der Dalai Lama spricht. Hier ist der Teufel los“. Teufel sind zwar nicht zu sehen, aber etwa 100 Anhänger des Shugden-Kults rufen und singen, was auch auf ihren Plakaten und Schildern steht: „Stop Dalai Lama – Stop Lying“.
Wo immer in den USA oder Europa der Papst des Ostens derzeit auftritt, die buddhistische Sekte ist schon da und traktiert ihn mit dem Vorwurf, ein Lügner zu sein. Gleich daneben, unter Gegendemonstranten und Dalai-Lama Freunden, verteilt der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Herbert Rusche, Flugblätter, in denen vor dem „fundamentalistischen, gefährlichen Kult“ gewarnt wird. Ganz schön was los, wenn der Friedensnobelpreisträger spricht.
Später, in der Arena, versucht ein Shugden-Freund, den Dalai Lama mit dem Zwischenruf zu irritieren „Sie sind der falsche Dalai Lama“. Doch der lässt sich nicht aus der gewohnten Ruhe bringen und antwortet: „Vielleicht bin ich der falsche, das ist ok, aber glauben Sie mir, ein falscher Mensch bin ich nicht. Ich bemühe mich, auch dem Shugden-Kult gerecht zu werden- Ich habe ja diesen Kult selbst lange Jahre praktiziert. Aber genaueres Studium hat mir gezeigt, dass er der tibetischen Gesellschaft schadet“. Ganz schön heftig, diese friedlichen Buddhisten untereinander, beinahe so wie Katholiken und Evangelische über viele Jahrhunderte. Als der Shugden-Zwischenrufer von Ordnern aus dem Saal geführt wird, klatschen die meisten der über 3.000 Besucher. Sie wollen in aller Ruhe dem Dalai Lama zuhören.
Der Dalai Lama zeigt selbstbewusst Mitgefühl mit dem Zwischenrufer. Sein Thema ist schließlich „Mitgefühl und Selbstbewusstsein“. Die Zuhörer aplaudieren als er sagt: „Wer Mitgefühl in der Gesellschaft leben will, braucht Selbstbewusstsein“. In 70 Minuten hat er gefühlte 100mal sein weltbekanntes gurgelndes Dalai Lama-Lachen gelacht. Die heutigen Menschen seien zu wenig glücklich und zu aggressiv. An dieser Stelle meint meine Sitznachbarin, die extra aus Düsseldorf angereist war, um zum zweiten mal in ihrem Leben den Dalai Lama zu hören: „Jetzt sollten Putin und Obama zuhören. Sie könnten hier etwas lernen.“
Der Dalai Lama wird politisch, wenn er sagt, dass jede Veränderung vom Einzelnen ausgeht: „Sie und ich, jeder von uns ist ein Teil der jetzt lebenden sieben Milliarden Menschen. Und jeder von uns ist gleich wichtig.“
Wie gewohnt sitzt er in seinem gelb-orangenen Mönchsgewand im Schneidersitz mit einer orangenen Schildkappe auf dem Kopf, die ihn vor den grellen Scheinwerfern schützen soll, und mit entblößten Armen auf der Bühne in seinem übergroßen Sessel. Er spricht leiser und noch bedächtiger als noch vor fünf oder zehn Jahren und doziert über negative Emotionen wie Neid, Wut, Frustration, die uns schaden und über positive Emotionen wie Dankbarkeit, Freude und Glück, die uns nutzen. Die positiven Emotionen, so hätten Wissenschaftler erforscht, nutzen auch unserer Gesundheit. An dieser Stelle erinnere ich mich, dass ich ihn mal in einem Fernseh-Interview gefragt habe, ob ihn denn gar nichts aufrege. „Warum soll ich mich aufregen – dann muss ich ja nur wieder abregen und das ist mir zu anstrengend“, war seine Antwort. Er sieht mit seinen bald 79 Jahren tatsächlich gesund aus.
Und wenn man – wie die Shugden-Leute – ihn der Lüge bezüchtigt? Dann sagt er in Frankfurt: „Das trifft mich äußerlich. Nicht innerlich. Innen spüre ich, dass diese Leute falsch informiert sind. Aber ich zwinge niemand meine Meinung auf. Wichtig ist, dass wir alle Respekt voreinander haben. Weniger Distanz und mehr Respekt.“
Schließlich sein Lieblingsthema: „Was macht uns glücklich?“ Geld und Macht seien flüchtig. Angst verhindere Glück. Mitgefühl helfe der Gesundheit und dem Immunsystem.
Er lobt schließlich Indien als die „größte Demokratie der Welt“, weil dort alle Religionen relativ friedlich zusammen leben. Er ist Indien auch deshalb dankbar und verbunden, weil er dort seit 1959 in relativer Nähe zu seiner Heimat Tibet im Exil leben darf.
Quelle
Franz Alt aus Frankfurt/Main 2014