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Dr. Tadzio Müller Institut für Gesellschaftsanalyse (IfG) Referent Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie Post-Doktorand beim Institut für Gesellschaftsanalyse

© Dr. Tadzio Müller Institut für Gesellschaftsanalyse (IfG) Referent Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie Post-Doktorand beim Institut für Gesellschaftsanalyse

„Die Kohleindustrie steht mit dem Rücken zur Wand“

Tadzio Müller über die Antikohlebewegung – Interview: Eric Janacek.

Mit den Ende-Gelände-Protesten im August beim Tagebau Garzweiler entstand eine bundesweite Antikohlebewegung. Für einen Ausstieg aus der Kohle braucht es eine Verbreiterung der gesellschaftlichen Debatte und Pläne gerechter Übergänge für die ArbeiterInnen, sagt Tadzio Müller

Charakterisierem Sie doch mal die Antikohlebewegung. Was sind ihre Forderungen?

Erst mal ist es eine Bewegung im Entstehen. Sie ist noch sehr amorph, es gibt keine großen Organisationen, kein Attac der Antikohlebewegung und kein „X-tausendmalquer“ oder „ausgestrahlt“. Es sind Leute aus der globalisierungskritischen, aus der Umwelt- und Klimabewegung und aus Bürgerinitiativen. Eigentlich kann man erst seit dem 15. August von einer Antikohlebewegung reden. Das ist die Relevanz von dem Protest um „Ende Gelände!“. Davor gab es zwar eine regionale Antikohlebewegung im Rheinland und in der Lausitz, aber es war kein bundesweites Phänomen. Bei den Forderungen wird es schwierig. Es gibt einige, die fordern einen sofortigen Kohleausstieg und viele, die sagen, das sei technisch unmöglich und wäre für bestimmte Regionen in Deutschland ein ökonomischer und sozialer Kahlschlag. Da gibt es eine lebhafte Debatte. Eine Dimension davon ist ein gerechter Kohleausstieg für die Menschen, die in den Kohlerevieren leben und arbeiten.

Wie kann man soziale Gruppen außerhalb der akademischen wohlsituierten Mittelschicht gegenüber Kohle positionieren?

Dieser Klimawandel und -gerechtigkeitsdiskurs ist ja ein Thema, das für viele hierzulande recht weit weg ist. Dinge, die wir jetzt tun, haben erst sehr spät Effekte und wir müssen unsere Produktions- und Konsummuster total ändern. Deswegen nutzen viele AntikohleaktivistInnen in den letzten Jahren auch andere Narrative. Kohle ist nicht nur schlecht fürs Klima, sondern auch für die Menschen, die in den Revieren leben. Es gibt eigentlich nur ein paar Tausende Leute, die in der Braunkohleindustrie arbeiten, aber viel mehr, die unter dem Kohlestaub leiden. Atemwegserkrankungen, Asthma, Lungenkrebs sind in Kohlerevieren ungleich höher als in anderen Standorten. Ein Tagebau kann ja auch das Grundwasser verseuchen und Landwirtschaft erschweren. Um die Leute, die in der Kohleindustrie arbeiten und deren Angehörige aus dem Prokohleblock rauszuschweißen, braucht es aber mehr als eine Erzählung, nämlich Vorschläge dafür, was die Gewerkschaften „gerechte Übergänge“ nennen: eine Transition aus der Kohleindustrie raus, die auch von den ArbeiterInnen in den Regionen selbst angetrieben wird.

Wie sind die Chancen, sich gegenüber der Kohleindustrie durchzusetzen?

Also ich benutze den Begriff „Team Kohle“. Das sind nicht nur die Kohlekonzerne. Die Gewerkschaften und Leute bei Parteien sind da auch zentrale Akteure. Das ist ein breiter, in bestimmten Regionen tief verwurzelter, gesellschaftlicher Block, der für die Kohleindustrie kämpft.

Und es muss eben mit Aktionen wie Ende Gelände oder im Hambacher Forst oder lokalen Bürgerinitiativen gezeigt werden: Kohle ist ein Konfliktthema. Und wir müssen zusammen mit den VertreterInnen der ArbeiterInnen über Pläne für einen gerechten Übergang in den Kohleregionen reden. Für mich ist eine Bedingung progressiver Klima- und Antikohlepolitik die Entwicklung von realistischen Plänen für gerechte Übergänge.

Die Antiatombewegung in den 70er- und 80er-Jahren war eine gesamtgesellschaftliche Bewegung. Wie ist das bei der Antikohlebewegung?

In der Süddeutschen Zeitung stand drei Tage nach Ende Gelände ein flammendes Editorial, die Antikohlebewegung sei die neue Antiatombewegung. Aber es gibt einen zentralen Unterschied: Die Antiatombewegung war ja keine reine Umweltbewegung, sondern auch von der Friedensbewegung getrieben. Denn natürlich hing der Kampf um die Atomkraftwerke auch mit der Frage der Wiederaufrüstung Europas zusammen. Es gab dieses Gefühl einer kollektiven Bedrohung und eine ganz reale Angst. Und der Klimawandel ist halt anders. Der fühlt sich eben nicht ganz so apokalyptisch an wie der Atomkrieg.

Welche Rolle spielen für Sie die internationalen Klimaverhandlungen?

Da gibt es eine lebhafte Debatte innerhalb der Bewegung. Es gibt ja immer diese Pre-Cops, sektorale Vorverhandlungen, die „social Pre-Cop“ und die „scientific Pre-Cop“. Einige haben uns die „disobedient Pre-Cop“ genannt.

Für die war Ende Gelände der ungehorsame Auftakt zu den Auseinandersetzungen um Paris. Aber man muss sagen, dass die Leute, die Ende Gelände auf die Beine gestellt haben, zum Großteil von Paris nichts erwarten. Aus einer Policy-Perspektive wird Paris sicher die Parameter für die Antikohle- und Klimaarbeit in Deutschland beeinflussen. Aber die letzten 20 Klimagipfel waren klimapolitisch irrelevant, warum soll der 21. plötzlich wichtiger sein? Die Relevanz der Gipfel liegt aus einer Bewegungsperspektive eher darin, dass um sie herum internationale Kooperationen entstehen, weil das einer der Orte ist, wo sich internationale KlimaaktivistInnen treffen.

Was sind die größten Erfolge der Bewegung und zurzeit die zentralen Herausforderungen?

Die Erfolge der Antikohlekämpfe vor Ende Gelände waren die lokalen Verhinderungen des Neubaus von Kohlekraftwerken oder einzelner Blöcke. Das wurde aber auch durch die sinkenden Profitaussichten der Kohlekraftwerke unterstützt. Die Kohleindustrie steht mit dem Rücken zum Wand, auch wenn sie nicht von Klimaregulationen plattgemacht wird. Und Kohle rutscht halt in so eine Schmuddelecke. Da gibt es eine diskursive Verschiebung. Aber bis diesen Sommer gab es keine Antikohlebewegung, weil es auch keine Debatte um die Kohle gab. Durch Ende Gelände wurde eine bundesweite gesellschaftliche Debatte erst angestoßen und sichtbar. Seitdem ist der Begriff Kohleausstieg auch gesellschaftlich gesetzt. Das ist der große Erfolg: die Ausweitung der Betroffenen- und ExpertInnendebatte in eine breite gesellschaftliche Debatte. Ein weiterer Erfolg ist das unüblich breite Bündnis: von AnarchistInnen im Rheinland bis hin zu etablierten NGOs. Die größte Herausforderung ist, glaube ich, dass eine Polarisierung stattfindet und ÖkoaktivistInnen gegen Linke und Bürger gegen Arbeiter stehen, wenn es keine Pläne für gerechte Übergänge für die Leute in den Regionen gibt. Und dann ist die gesamte Arbeit der letzten Jahre zunichte.

Quelle

Deutscher Naturschutzring 2015 | Interview: Eric Janacek | Dr. Tadzio Müller ist Referent für Klimagerechtigkeit und
Energiedemokratie der Rosa-Luxemburg-Stiftung und aktiv in der
Antikohlebewegung. Kontakt: E-Mail: tadzio.muelle(at)rosalux.de

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