Ein Jahr nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa trägt die EU weiterhin Mitschuld am Sterben im Mittelmeer
Oxfam-Bericht nährt Zweifel an Schutzstandards in Flüchtlings-Hotspots
Eine aktuelle Untersuchung von Oxfam weckt starke Zweifel, inwieweit die in den sogenannten “Hotspots” praktizierten Asylverfahren den rechtlichen Standards der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten genügen. Kritikwürdig sind besonders die beschleunigte und dabei oft mangelhafte Durchführung von Asylverfahren, die unangemessene Behandlung vieler Asylsuchender und die fehlende Transparenz über die Funktionsweise der Hotspots. Oxfam fordert von der EU sowie der italienischen und griechischen Regierung Aufklärung und die Einhaltung menschenrechtlicher Standards.
Ein Jahr, nachdem 800 Menschen im Mittelmeer bei Lampedusa bei ihrer Flucht nach Europa ertrunken sind, hat die EU kaum etwas getan, um schutzsuchende Menschen fair zu behandeln und vor weiterem Leid zu bewahren. „Der von uns dokumentierte laxe Umgang mit Asylstandards in den italienischen Hotspots und die Geheimniskrämerei der Behörden über das Geschehen wirft ernste Fragen auf, wie ehrlich es die Europäische Union mit ihrem Anspruch einer humanen Asylpolitik meint. Die Gefahr ist groß, dass durch den Ausbau der Hotspots besonders verletzliche Personen wie unbegleitete Jugendliche, schwangere Frauen oder traumatisierte Menschen nicht den Schutz erhalten, den sie dringend benötigen“, fasst Robert Lindner, Oxfam-Referent für Krisen und Konflikte, das Ergebnis der Untersuchung zusammen.
Schutzsuchende werden nicht ausreichend über ihre Rechte informiert
Gegenstand der Untersuchung war die Situation auf Sizilien, wo seit September 2015 drei Hotspots existieren. Dort haben die zuständigen Behörden immer noch keinen angemessenen rechtlichen Rahmen zum Betrieb dieser Einrichtungen geschaffen. Es ist daher völlig unklar, ob und in welcher Weise dort die ordnungsgemäße Umsetzung von italienischem, europäischem und internationalem Recht gewährleistet ist. Eine entsprechende Anfrage, die Oxfam an das italienische Parlament gerichtet hat, wurde bislang nicht beantwortet. Viele Schutzsuchende erhalten keinen ausreichenden Zugang zu rechtlichem und psychologischem Beistand und werden nicht ausreichend über ihre Rechte informiert.
„Wir sehen verzweifelte Menschen in furchtbarer Not, doch die EU tut nicht einmal das Nötigste, um das Leid zu beenden. Indem sie den Zugang geflüchteter Menschen zu Schutz und Asyl erschwert, trägt sie Mitschuld am Sterben im Mittelmeer und der Ausbeutung von Flüchtlingen in Ländern wie Libyen. Die verstärkten Abschiebungen in Länder wie die Türkei machen die EU als Verfechter von Humanität und Menschenrechten vollends unglaubwürdig”, sagt Robert Lindner.
Oxfam fordert von der EU sowie der italienischen und griechischen Regierung:
- unverzüglich aufzuklären, inwiefern die in den Hotspots angewendeten Verfahren im Einklang mit europäischem und nationalem Recht stehen und wie dies kontrolliert wird,
- sicherzustellen, dass jede Person in verständlicher Form und Sprache über ihre Rechte informiert wird,
- die Verfahren zur Registrierung von Flüchtlingen in Einklang mit den geltenden menschenrechtlichen Standards zu bringen. Dabei ist insbesondere der Einsatz von Zwangsmitteln zur erkennungsdienstlichen Behandlung unzulässig,
- zu gewährleisten, dass niemand ohne Prüfung des individuellen Falls durch eine ordentliche staatliche Stelle zurückgewiesen oder abgeschoben wird, wobei diese Stelle nicht die Strafverfolgungsbehörde sein darf,
- die De-facto-Inhaftierungen von Flüchtlingen zu beenden. Niemand darf zum alleinigen Zwecke der Registrierung in Aufnahmezentren inhaftiert werden. Flüchtlinge müssen jederzeit Zugang zu unabhängigen Organisationen haben, die ihnen rechtlichen und psychologischen Beistand gewähren,
- spezifische Schutzverfahren für besonders verletzliche Personen zu schaffen, wie unbegleitete Minderjährige, allein reisende und/oder schwangere Frauen, traumatisierte und kranke Menschen sowie Menschen mit Behinderungen.