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„Ein löchriger Vertrag lässt sich ändern“

Ein neuer Weltklimavertrag 2015 ist wichtig für die Symbolpolitik, aber das Abkommen wäre nicht einmal das Papier wert, auf dem es gedruckt würde, sagt Professor Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Das Klimaproblem hält der Meterologe und Klimaforscher dennoch für lösbar.

klimaretter.info: Herr Professor Latif, in Lima gipfeln die Klimadiplomaten derzeit zum 20. Mal auf einer Weltkonferenz. Sind die Klimagipfel der geeignete Rahmen, um der Erderwärmung Herr zu werden?

Mojib Latif: Bisher jedenfalls nicht. Seit Beginn der Konferenzen Anfang der 90er Jahre ist der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid um über 60 Prozent gestiegen. Daran wird auch die 20. Konferenz in Lima nichts ändern. Wenn die Menschheit das Problem lösen will, dann brauchen wir dafür andere Mittel.

klimaretter.info: Zum Beispiel?

Die Alternative wäre, dass man solche Verhandlungen gar nicht braucht, weil alle Länder einsehen, dass sie im gleichen Boot sitzen. Gäbe es diese Einsicht, würden die Staaten von sich heraus handeln. Die Wissenschaft jedenfalls hat den Klimawandel und seine Folgen seit Ende der 80er Jahre klar beschrieben. Die erste wissenschaftliche Arbeit hierzu ist schon vor über 100 Jahren erschienen.

klimaretter.info: Der Ukraine-Konflikt, Syrien oder Irak: Die aktuellen Konflikte belegen, dass die Spezies Mensch mit Einsicht nicht übermäßig ausgestattet ist. Was wäre jenseits Ihres Wunschdenkens eine realistische Alternative zur Klimadiplomatie?

Wir müssen den Ball ins Rollen bringen. Wie immer sind Vorreiter notwendig, die zeigen, dass eine Ökonomie ohne fossile Brennstoffe funktionieren kann. Deshalb ist die Energiewende in Deutschland so enorm wichtig. Wenn andere Länder sehen, dass es möglich ist, Wohlstand mit erneuerbaren Energien zu generieren, dann werden sie folgen. Wenn der Beweis erbracht ist, wird das eine Lawine lostreten, die Klimaschutz viel effektiver organisiert als die Verhandlungen.

klimaretter.info: Eon will künftig auf die Erneuerbaren setzen. Doch häufiger sieht man in Deutschland, dass der fossil-industrielle Komplexsich gegen seine Entmachtung wehrt.

Das alte System hat zurückgeschlagen, aber der Erfolg wird nur kurzfristig sein. Deutschland will 40 Prozent seiner Treibhausgase bis 2020 einsparen – verglichen mit 1990. Da ist doch ganz klar, dass die Politik jetzt an die Kohlekraft rangehen muss! Die Bundesrepublik lag mit ihren Emissionen schon 2009 um 27 Prozent unter dem Basisjahr. Die Kohle ist dafür verantwortlich, dass die Emissionen danach wieder gestiegen sind. Der Wille, das zu beenden, ist da, und ich bin mir sicher, dass die Politik das diesmal auch durchsetzen wird.

klimaretter.info: Deutschland hatte in den 90er Jahren ein wesentlich ehrgeizigeres Klimaziel: minus 25 Prozent bis 2005, und zwar nur die alten Bundesländer. Auch damals wehrte sich die Fossil-Industrie, auch damals versuchte die Politik durch die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel mit einem „Aktionsprogramm“ gegenzuhalten – und scheiterte. Warum sollte das diesmal anders sein?

Damals war den Menschen – den Wählern – die Energiewende noch kein Bedürfnis. Ich nehme gern den Mauerfall oder den Atomausstieg als Vorbild: Beides war nur möglich, weil viele Menschen das wollten. Darauf setze ich: Die Politik wird nicht von sich aus standhaft das Minus-40-Prozent-Ziel verfolgen. Wenn aber eine Bürgerbewegung von unten Druck ausübt, dann greifen die Medien das auf und dann wird auch die Politik folgen – das ist eine Schleife, die sich selbst verstärkt.

klimaretter.info: Die Ostdeutschen waren eingesperrt, die Atomkraftwerke standen in der Nachbarschaft als reale Gefahr. Das Klimaproblem ist aber nicht fühlbar und ernsthafte Folgen werden die heutigen Akteure wohl nicht mehr erleben. Wie kann man damit umgehen?

Durch Aufklärung. Ich glaube, wenn die Menschen wenigstens wissen würden, welch verheerende Folgen unser fossiler Lebensstil mit sich bringt, dann würden sie nachdenklich werden. Als Lösung sind Verzichtsdebatten allerdings nicht hilfreich. Wir brauchen positive Beispiele. Wird den Menschen aufgezeigt, wie sie von der Energiewende profitieren, dann gibt es kein Halten mehr.

klimaretter.info: Zum Beispiel?

Deutschland importiert jährlich für 100 Milliarden Euro fossile Rohstoffe. Wir sind abhängig von Putin und den Ölscheichs. Und es ist doch klar, dass die Preise wieder steigen werden! Wenn wir heute die Weichen stellen, um eigene Rohstoffe – also Wind, Sonne oder Biomasse – zu nutzen, dann bleiben unsere Kinder von der kommenden Preisspirale verschont.

klimaretter.info: Zurück zu den Klimakonferenzen: Wie wichtig ist ein neuer Weltklimavertrag 2015 in Paris?

Wichtig ist das Abkommen auf jeden Fall, schon allein wegen der Symbolik. Für das Zwei-Grad-Limit, also den Versuch die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, wird das Abkommen aber nicht einmal das Papier wert sein, auf dem es steht.

Trotzdem bin ich optimistisch: Das Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht aus dem Jahr 1987 war löchrig wie ein Schweizer Käse. Niemals hätte es die Ozonschicht gerettet. Aber dann gab es viele Nachverhandlungen – so lange, bis das Abkommen solide war. Darauf baue ich, auch wenn der Vergleich hinkt: Das Klimaproblem ist ungleich komplexer.

klimaretter.info: Was, wenn Paris scheitert?

Dann ist die Weltgemeinschaft gescheitert. Notwendig wird dann, eine andere Form von „Global Governance“ anzustoßen. Momentan schafft es die Weltgemeinschaft kaum, irgendwelche Probleme mit ihren Institutionen zu lösen. Die Menschheit muss dann neue Instrumentarien entwickeln, wie sie die großen Herausforderungen der Zukunft bewältigen kann.

Ich glaube aber, dass das Klimaproblem unabhängig von einem Erfolg oder Misserfolg in Paris lösbar ist: Die Solartechnologie ist demnächst so kostengünstig, dass sich ihr weltweiter Siegeszug gar nicht mehr aufhalten lassen wird.

Alle Beiträge zur COP 20 in Peru finden Sie bei KLIMARETTER.INFO im Lima-Dossier

Bigi Alt | Mojib und Elisabeth Latif am Prins Christian Sund in Grönland.
Quelle

KLIMARETTER.INFO | Nick Reimer 2014

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