„Energiewende kann nur funktionieren, wenn sie dezentral ist“
Peak Oil, Atomunfälle und drohender Klimakollaps – so kann es nicht weitergehen. Warum die Energiewende in Bürgerhand liegen sollte und welchen Beitrag die Politik dazu leisten muss – darüber sprach die Mehr.Wert Redaktion mit dem Redakteur, Buchautor und Energieexperten Dr. Franz Alt.
Was war der Auslöser dafür, dass Sie Befürworter der Erneuerbaren Energien geworden sind?
Tschernobyl – das hat mich aufgeweckt. Ich war damals braves CDU-Mitglied und habe, wie viele Fachleute früher, die Atomenergie für die Lösung der Energiefragen gehalten. Alle haben gesagt, da könnte allenfalls alle 10.000 Jahre mal etwas passieren. Und dann passierte Tschernobyl. Ich habe dann intensiver recherchiert und festgestellt, dass Atomenergie ein Anschlag auf die Schöpfung ist. Und dann habe ich mich im Fernsehen gegen die Atomenergie ausgesprochen (Anmerkung der Redaktion: Franz Alt war von 1972 bis 1992 Leiter und Moderator des politischen Magazins „Report“ der ARD) ich habe dadurch viele Probleme gehabt und acht Arbeitsgerichtsprozesse geführt, um deutlich sagen zu können, was meine Meinung ist. Dabei ist mir klar geworden: Es reicht nicht, wenn du in der Öffentlichkeit nur gegen etwas bist. Du musst deutlich machen, wofür du bist. So kam ich über Hermann Scheer zu den Erneuerbaren Energien (Anmerkung der Redaktion: Hermann Scheer war SPD-Politiker und Bundestagsabgeordneter; er setzte sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Energiewende ein). Er war damals der große Solarpapst, der bereits wusste: 100 Prozent Erneuerbare Energie – das ist die Zukunft!
„We won’t make it“ ─ so äußerte sich der Club of Rome letztes Jahr mit einer pessimistischen Prognose zum Klimawandel. Glauben Sie denn, dass wir noch die „Klimakurve“ kriegen?
Genau weiß das niemand. Die seriösen Wissenschaftler sagen: Ja, wir haben noch die Chance, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Andere sagen, unter vier Grad wird das gar nicht gehen. Zum Beispiel wird der Anstieg des Meeresspiegels dann nicht einen Meter, sondern fünf Meter betragen. Und das wäre für ein Drittel der Menschheit eine Katastrophe. Denn dieses Drittel wohnt direkt an den Küsten. Ich bin kein Klimawissenschaftler. Aber ich vertraue denen, die sagen: Wir haben noch eine Chance. Wenn wir noch eine haben, dann müssen wir sie auch nutzen. Und das ist der schnellstmögliche Umstieg auf die Erneuerbaren Energien.
Welche Bedeutung haben hierzulande die Bürger für die Energiewende?
Eine ganz große! Jeder braucht Energie, jeder kann sich beteiligen an dezentralen Systemen. Viele Millionen Menschen haben ein Haus und können es anders machen als bisher: auf dem Dach Solaranlagen, im Keller Pellets oder beides kombinieren. Viele Millionen Menschen können sich finanziell an Windparks oder Biogasanlagen beteiligen und können dadurch sogar einen Gewinn machen. Die Energiewende wird eine Bürgerenergiewende oder es gibt keine. Sie kann nur funktionieren, wenn sie dezentral ist. Das heißt, Millionen Gebäude werden Millionen Kraftwerke. Und das kann nur mit Erneuerbaren Energien funktionieren. Handwerker, Bauern, Mittelständler, Hausbesitzer, Energiegenossenschaften, Stadtwerke: Sie alle sind die Träger der dezentralen Energiewende. Und nicht die vier großen „Besatzungsmächte“ RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW ─ das sind Auslaufmodelle.
Wo sehen Sie die Gründe für den Anstieg der Strompreise?
Der Anstieg geht vielleicht zur Hälfte auf die Erneuerbaren Energien zurück, die zweite Hälfte macht die Steuer aus, die sich aus Stromsteuer und Mehrwertsteuer zusammensetzt. Zudem gibt es so viele Ausnahmen für die Großindustrie, die nicht an der Umlage des EEG beteiligt sind. Das sind auch die typischen Fehler einer Politik, die die Großindustrie bevorzugt und sie auf Kosten der kleinen Verbraucher geschont hat. Außerdem sind die alten Energiepreise bei Heizöl viel schneller gestiegen als bei Strom. Wir haben in den letzten vier Jahren 60 Prozent Preisanstieg beim Ökostrom gehabt, aber 400 Prozent Preisanstieg beim Erdöl. Das ist weit mehr. Denn Heizkosten sind viel teurer als Stromkosten. Das wurde überhaupt nicht thematisiert – aber die Erneuerbaren Energien wurden als Sündenbock hergenommen.
In Ihrem Buch „Auf der Sonnenseite“ sprechen Sie von sieben politischen Schritten, die für die Beschleunigung einer preisgünstigen Energiewende notwendig sind. Welche hiervon sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Schritte?
Der allerwichtigste Schritt ist der rasche Umstieg auf die Erneuerbaren und der Ausbau der dafür notwendigen Netze. Denn je mehr Ökostrom da ist, desto rascher werden die Speichernetze ausgebaut. Dann kann auch der Ausstieg aus Kohle, Gas, Öl und Atomkraft so schnell wie möglich vollzogen werden. Es ist auch nicht wahr, dass wir Erneuerbare Energien nicht speichern können – der Mix der Erneuerbaren Energien ist die beste Voraussetzung für die Lösung des Speicherproblems. Häufig scheint die Sonne, wenn der Wind nicht weht, und oft weht der Wind, wenn die Sonne nicht scheint. Weltweit wird an neuen Technologien zum Speichern von Energie gearbeitet: an besseren Batterien, an Wasserstofftechnologien, an Pumpspeicherkraftwerken, Druckluftspeicherkraftwerken, am Elektroauto und vor allem an „Power-to-gas“-Technologien. Das heutige Gasnetz in Deutschland kann vier Monate lang den Überschussstrom von Sonne und Wind speichern, wenn dieser zuvor in Wasserstoff umgewandelt wurde. Die Wissenschaft sagt uns schon lange, dass das Speicherproblem lösbar ist.
Am 22. September hat Deutschland gewählt. Die schwarz-grünen Sondierungen sind gescheitert. Jetzt zeichnet sich eine schwarz-rote Koalition ab. Was bedeutet das für die Energiewende?
Jede mögliche Koalition ist besser als die, die wir bisher hatten. Denn die schwarz-gelbe Politik hat die Energiewende am meisten ausgebremst. Das Wichtigste ist ja, dass die FDP rausgeflogen ist. Das waren die Oberbremser. Das haben die Bürger begriffen und die Jungs abgewählt, die alles behindert haben. Also die schlimmsten Greenhorns sind nun draußen, und jetzt hoffe ich, dass es unter einer anderen Koalition besser wird. Die Roten hängen allerdings noch zu sehr am Tropf der alten Kohlewirtschaft. Da bekommen wir wohl eher eine Kohlewende als eine wirkliche Energiewende. Eine schwarz-grüne Regierung hingegen hätte die ökonomische Kompetenz der CDU/CSU mit der ökologischen Kompetenz der Grünen kombinieren können. Ich hätte Angela Merkel und den Grünen den Mut zu dieser zeitgemäßen und zukunftsfähigen Koalition gewünscht. Diese Koalition könnte die Energiewende mit einem grünen Umweltminister oder einer grünen Umweltministerin am besten umsetzen. Ohne Zweifel haben die Grünen dafür die besten Leute. Sie sind die einzige Partei, die im Wahlkampf klar bis 2030 100 Prozent Ökostrom prognostiziert hat.
Quelle
Mehr.Wert 2013