Energiewende oder Energiewendeende?
Weltweite Bürgerbewegung Avaaz und Deutsche Umwelthilfe veröffentlichen Analyse zum Stand der Energiewende und starten Last-Minute-Kampagne zur Bundestagswahl.
Mit einer Analyse zum aktuellen Stand der Energiewende und einer „Last-Minute-Aktion“ im Wahlkampf wollen die weltweit aktive Bürgerbewegung Avaaz und die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) bis zum Wahltag gemeinsam zur „Wahl der Energiewende“ motivieren. Um viele, insbesondere auch junge Wähler an die Urnen zu bringen, setzt Avaaz auf seine Kernkompetenz: Internetkampagnen.
Dazu wird auch eine in Deutschland neuartige Facebook-App eingesetzt, die nach dem Vorbild der Wahlkampagne für US-Präsident Obama hunderttausende Bürger zum Wählen motivieren soll.
In der Analyse zum Stand der Energiewende wird gezeigt, wie Vertreter des Regierungslagers mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) an der Spitze versuchen, mit Hilfe der Stromkostendebatte und Mutmaßungen über den angeblichen, aber nicht belegbaren Niedergang der deutschen Industrie, Stimmung gegen die Energiewende zu machen.
Der Bericht deckt im Detail auf, wie immer mehr Industriebetriebe von der Bundesregierung mit Milliardengeschenken zur Entlastung ihrer Stromrechnung bedacht werden – und die privaten Haushalte und der Mittelstand dafür zahlen. Im Ergebnis gibt es eine zweigeteilte Entwicklung: Die Strompreise der Privathaushalte kennen nur eine Richtung. Sie haben sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Die der energieintensivsten Betriebe blieben lange stabil und sinken nun seit mehr als zwei Jahren sogar.
„Was wir hier aus dem Regierungslager heraus erleben, grenzt an Sabotage der Energiewende und damit der eigenen Beschlüsse und Wahlprogramme“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Michael Spielmann. Weil mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland die Energiewende weiter wollten, glaubten viele, sie komme von allein. Spielmann: „Das ist ein gefährlicher Irrtum. Deshalb braucht die Energiewende jede Stimme, um zu überleben.“
Die Analyse verschweigt nicht die großen Herausforderungen, die mit der Umstellung der energetischen Basis eines Industrielandes auf Erneuerbare Energien verbunden sind – vielmehr geht es auch darum, Hinweise zu geben, wie ein künftige Bundesregierung die Energiewende auf der Erfolgsspur halten kann.
Die Analyse unter dem Titel “Energiewende oder Energiewendeende” zeigt, dass
- der im nächsten Jahr erneut zu erwartende Anstieg die EEG-Umlage nur noch zu einem sehr geringen Anteil (13%) auf die direkte Förderung neuer Erneuerbarer-Energie-Anlagen zurückzuführen sein wird
- die Milliardengeschenke an immer mehr Industrieunternehmen unter Schwarz-Gelb Rekordwerte erreicht, die von privaten Haushalten und Mittelstand mit immer höheren Summen beglichen werden müssen
- die große Mehrzahl (ca. 90 %) der deutschen Unternehmen nicht spürbar unter hohen Strompreisen leidet und die stromintensivsten Betriebe insbesondere von den infolge der Energiewende sinkenden Börsenpreisen profitieren
- eine erfolgreichere, schnellere und kostengünstige Umstellung auf Erneuerbare Energien als in Deutschland (6-fach binnen 20 Jahren) noch nirgends auf der Welt erfunden wurde – auch nicht in Schweden, dessen EE-Ausbau nicht auf vergleichbarem Niveau erfolgt wie in Deutschland und wegen der speziellen Verhältnisse in Schweden auch nicht auf hiesige Verhältnisse übertragbar ist, wie die Monopolkommission der Bundesregierung kürzlich weismachen wollte.
DUH und Avaaz sind sich jenseits der oft tendenziösen Kostendebatte auch bewusst, dass die Rahmenbedingungen für die nächste Etappe der Energiewende korrigiert und weiterentwickelt werden müssen. Dazu gehöre,
- offensichtliche Fehlentwicklungen zu korrigieren – insbesondere die ausufernden Strompreisermäßigungen für die Großindustrie und die Überfrachtung der EEG-Umlage mit Kostenbestandteilen, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien nichts zu tun haben
- das EEG so zu reformieren, dass das „Primat der Investitionssicherheit“ erhalten bleibt, das den Erfolg des EEG in der Vergangenheit bewirkt hat
- Erneuerbare Energien so zu fördern, dass die Übernahme von Verantwortung für die Systemsicherheit wirtschaftlich interessant wird und der Um- und Ausbau der Stromnetze auf das notwendige Maß begrenzt bleibt
- die Dauerblockade bei der Energieeffizienz zu beenden und den Energiebedarf entsprechend zu drosseln
- die Bürgerenergie-Idee zu stärken und zu fördern, um die Energiewende insgesamt bürgernah und auch dezentral zu gestalten
- die Versorgungssicherheit in der Übergangszeit über Mechanismen und Einkommen abzusichern, die „systemrelevante“ Kraftwerke am Netz halten.
„Die deutsche Energiewende und ihr Anspruch, das gegenwärtige klimaschädliche Energiesystem vollständig umzugestalten, ist weltweit einmalig. Wenn dieses Projekt scheitern sollte, wird es auf absehbare Zeit keinen ähnlichen Anlauf hier oder in einem vergleichbaren Industrieland auf der Welt geben“, erläutert Christoph Schott vom Avaaz Kampagnen-Team die Motivation der 1,4 Millionen deutschen Avaaz-Mitglieder, sich hier einzumischen. „Am 22. September sollten sich alle Bürgerinnen und Bürger ihrer Verantwortung nicht nur für die eigene sondern auch für nachfolgende Generationen bewusst sein und für eine erneuerbare Zukunft stimmen.“
Zusätzlich zum Einsatz der neuen Facebook-App werden Bürger aus ganz Deutschland die Möglichkeit haben, anlässlich der Veröffentlichung der Studie “live” online dabei zu sein und sich mit Kommentaren via avaaz.org direkt in die Pressekonferenz einzuschalten. Avaaz und die DUH hoffen so, viele potenzielle Wählerinnen und Wähler erreichen zu können, die sich dann bei der Wahl im Interesse kommender Generationen entscheiden.
Die Bürgerbewegung für die Energiewende könne sich jedoch nur weiterentwickeln und behaupten, wenn die nun zu wählende Bundesregierung, den energiewirtschaftlichen Rahmen entsprechend setzt und die Energiewende zu neuem Leben erweckt. Die beiden Organisationen sehen eine reale Gefahr, dass es in der nächsten Legislaturperiode zum faktischen Abbruch des „Experiments Energiewende“ kommt, wenn „Selbstblockade und Widerstand in den Reihen der dann regierenden Koalition vier weitere Jahre anhalten“, so Schott. „Lassen Sie die Bürger bei der `Energiewende` nicht Im Dunkeln stehen”, appellierte Schott abschließend an die verantwortlichen Politiker.
Quelle
Deutsche Umwelthilfe 2013