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Gaia im End-Fieber

Die Patientin wälzt sich unruhig hin und her. Abwechselnd lässt sie erdbebenartiger Schüttelfrost erzittern, gefolgt von  glühenden Fieberwallungen, die sie  fast austrocknen. Eifrig wirbelt ein ganzes Heer von weiß bekittelten Experten um sie herum, misst die Temperatur all ihrer Organe und entnimmt Zell- und Gewebeproben. Das international zusammengesetzte weltbeste Ärzteteam wird nicht müde, immer neue diagnostische Methoden zu probieren und ständig aktualisierte Berichte über die Patientin zu verfassen. Gaias Zustand ist labil. Er ist ernst, sehr ernst. Von Katrin Heeren

Doch während die Forscher ohne Unterlass weitere Messungen vornehmen, teilen die Direktoren des Krankenhauses den besorgten Angehörigen mit unbewegten Mienen bedauernd mit: „Wir können zum jetzigen Zeitpunkt leider nichts unternehmen. Uns fehlt  die hundertprozentige Gewissheit über die Ursachen dieser lebensbedrohlichen Krankheit.“

Schon vor über dreißig Jahren fanden die Experten schwarze, die Lungenbläschen zerfressende Gase, die sie mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit auf die körpereigene Energieproduktion der Patientin zurückführen konnten. Bei diesem Vorgang produziert der Körper die für den Stoffwechsel erforderliche Energie aus den Kohlenstoffeinlagerungen der Eingeweide, anstatt die sogenannten erneuerbaren körpereigenen Energien anzuzapfen.

Anstatt jedoch der Patientin zu helfen und zu versuchen, die Energiegewinnung umzustellen, wollen die Klinikchefs erst einmal ganz in Ruhe beobachten. Und abwarten, ob es sicher ist, dass die Kohlenstoff-Verbrennung tatsächlich die schwarzen Gase erzeugt. Diese haben in den letzten dreißig Jahren alarmierend hohe Konzentrationen erreicht und bescheren der Patientin in steigendem Maße Hunger, Durst und zunehmende Hitzewallungen. Erste lebenswichtige Organe sind bereits angegriffen.

Welche Angehörigen würden wohl eine solche Behandlung hinnehmen, und welche Chefärzte und Klinikchefs würden den Tod einer Patientin riskieren und abwarten, bis hundertprozentige Sicherheit über die Heilungschancen einer bestimmten Behandlung bestünde?

Ärzte sind durch den Ehrenkodex verpflichtet, alles im Bereich des Möglichen liegende zu tun, um zur Heilung der Patienten beizutragen.

Offenbar verhält es sich anders, wenn es um den Erhalt allen Lebens auf unserem Planeten geht, der von dem Ökosystemforscher James Lovelock liebevoll „Gaia“ getauft wurde. Ein solcher Ehrenkodex fehlt für die „Klinikchefs“ unseres Planeten, unsere politische Führungselite. Diese vertreibt sich seit zwanzig Jahren die Zeit damit, auf dem Markt der Klimaschutzmaßnahmen und deren Finanzierung fröhlich miteinander zu feilschen, zu verhandeln, Allianzen zu bilden und sich damit zu brüsten, nicht nachgegeben zu haben.

In der Tat ist die Lage des Planeten mehr als ernst, denn wir haben die planetarischen Grenzen überschritten und damit irreversible Prozesse in Gang gesetzt, die kaum noch zu stoppen sind: Artensterben im Zeitraffer, schleichend voranschreitende Ozeanversäuerung, Nitratverseuchung von Böden und Trinkwasser und der Klimawandel, der bereits heute Menschenleben fordert. Die Patientin ächzt und keucht.

Die Krankenberichte in Form des 2014 erschienenen fünften Reports des Weltklimarats sprechen eine klare Sprache: Der Klimawandel ist real, wird von menschgemachten Treibhausgasen beschleunigt und führt mittlerweile zu rasantem Temperaturanstieg,  zunehmenden Dürre- und Überflutungsperioden sowie Hurrikans  und Sturmfluten. Die Schlussfolgerung ist simpel: Wir müssen unverzüglich die Emissionen herunterfahren. Nun müssen die Klinik-Direktoren handeln, bevor die Patientin Gaia dem Systemkollaps erliegt.

Quelle

Katrin Heeren 2014


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