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Liberalismus und Verantwortungslosigkeit

Als Angela Merkel einst aufrief die parlamentarische Demokratie so zu gestalten, dass sie marktkonform werde, hielt sich die Empörung in Grenzen. Welche Folgen es jedoch hat, Politik auf Märkte auszurichten, ist oft nur auf den zweiten Blick ersichtlich. So gibt es auch Auswirkungen auf Bereiche, die zunächst gar nicht im Blickfeld lagen. Denn es sind nicht nur Banken, die gerettet werden wollen. Aktuell geht es vermeintlich um eine andere systemrelevante Grundversorgung, die bezahlbare Energie. Kommentar von Matthias Hüttmann

Sinkender Stern

Den großen vier Energiekonzernen ging es schon einmal besser: Der liberalisierte Energiemarkt, sprich der freie Wettbewerb, zementierte das Oligopol der Versorger auf dem Strommarkt. Das eigentliche Ziel, günstigere Konditionen für die Verbraucher, wurde verfehlt, an den Unternehmensstrategien änderte sich nur wenig. Statt einen Umbau der Energieversorgung in Richtung Erneuerbarer Energien einzuleiten, setzte man auf die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken und den Neubau von Kohlekraftwerken. Auch nach dem Ausrufen der institutionellen Energiewende blieb vieles beim Alten. Ein bisschen Greenwashing hier und Marketing dort, von einer Neugestaltung der Energieversorgung war nicht viel zu sehen. Als dann das wachsende regenerative Stromüberangebot für einen Preisverfall sorgte und konventionelle Kraftwerke immer unrentabler werden ließ, kamen die Konzerne immer mehr ins Trudeln.

Während die Energieriesen an Kraft verloren, hatte die gern beschworene Innovationskraft des Marktes eine neue Kultur hervorgebracht. Energieversorgung war nicht mehr die alleinige Domäne Weniger. Angetrieben durch das EEG entwickelte sich eine selbstbewusste Branche, die immer tiefer in das Kernbereiche der EVUs einbrach. Selbst die Grundversorgung von Verbrauchern, also die direkte Belieferung von privaten und gewerblichen Endkunden, wurde angegangen. Die Geschwindigkeit war enorm, das Wachstum und der Jobmotor brummten.

Zunächst schmückte man sich auf der politischen Bühne noch mit dieser Entwicklung. Umweltminister streichelten jedes einzelne Windrad und Solarmodul. Aber spätestens als die sich oftmals in öffentlicher Hand befindenden Aktien einbrachen wendete sich das Blatt. Die Ohren der Politik öffneten sich verstärkt den Argumenten der etablierten Energielobbyisten. Fortan unterstützte man immer weniger die Interessen der Bevölkerung, sondern kümmerte sich vielmehr um die Belange von Wenigen. Dass es die Legislative in der Phase der Euphorie selbst versäumt hatte notwendige Korrekturen vorzunehmen und vor allem das Projekt Energiewende auch auf der ganzen Breite ernsthaft vor­anzutreiben, wird dabei gern verschwiegen. Plötzlich zeigte man sich selbst vom Erfolg der Erneuerbaren überrascht.

Du hast keine Chance. Nutze Sie!

Billigend nimmt man in Kauf, die einstige Vorzeigebrache an der ausgestreckten Hand verhungern zu lassen. Warum ein Aufschrei gegen die Umverteilungspolitik, welche in ihrer Konsequenz zu einer inflationär auftretenden Insolvenzwelle geführt hat, ausbleibt ist weitgehend unverständlich. Gegen diese Klientelpolitik hilft nur eines: Unternehmen wie Verbraucher müssen sich weiter emanzipieren. Auch wenn Begriffe wie „Guerilla-PV“ suggerieren mögen, dass man sich in einem Kleinkrieg begeben sollte geht es vielmehr um selbstbewusstes Handeln: Selbst ist der Energiewender!

Aber ganz gemäß dem dänischen Philosophen Søren Kierkegaard „heirate oder heirate nicht, du wirst es bereuen“ gibt es keinen Königsweg. Alleine auf den Markt zu setzen ist wenig zielführend, denn der Markt selbst hat keine moralische Qualität. Was bei der Bankenrettung augenscheinlich ist, fällt bei Energie noch nicht allen auf. Das gerne angeführte Argument der stabilen Energiepreise als Prämisse des Handelns ist reiner Populismus. Während man den Eigenverbrauch diffamiert werden im selben Atemzug die Gewinne der Energiebereitstellung entsolidarisiert.

Die Energiewende von unten bleibt somit der einzig erfolgversprechende Weg. Eine nachhaltige Energieversorgung, genossenschaftliche Strukturen und adäquate Modelle sind notwendiger denn je, Stadtwerke und Eigeninitiativen haben vorwiegend andere Interessen als das Kapital. Den verbliebenen Unternehmen der EE-Branche und allen Unterstützern fällt daher auch die Aufgabe zu, diese Missstände publik zu machen. Denn vielen ist offensichtlich gar nicht klar was gerade passiert, die Bauernfängerrhetorik der Politik fällt auf fruchtbaren Boden.

Zudem gilt es, die Innovationskraft zu nutzen und auf Erreichtes aufzubauen. Projekte wie Energieautarkie, Bürger-Nahwärme und dezentrale Strukturen müssen intensiviert werden. Lokale Kraft-Wärme-Kopplung, das Zusammenspiel von Mobilität und Immobilie, Speichertechnik, solare Kühlung, dezentraler Netzausbau und vieles mehr – all das muss dem Verbraucher nahegebracht werden.

Keine marktkonforme Ökologie

Energie muss günstig und bezahlbar bleiben, aber das darf nicht nur für heute und morgen gelten, übermorgen ist auch noch ein Tag. Diese Generation könnte von billiger Energie profitieren, aber unterbleiben Investitionen scheitert auch dieser Generationenvertrag. Darauf zu vertrauen, dass der Staat vorsorgt wäre fatal. Nach dem Scheitern der solidarischen Altersversorgung hieß es auf einmal „Du musst Dich künftig selbst kümmern, die einst sichere Rente ist Geschichte“.

Kurzsichtige Politik, die ihren Fokus allein auf günstige Energiepreise setzt, ist fatal. Das Beharren auf alte EVU-Strukturen wird teuer werden, von den ökologischen Schäden mal ganz abgesehen. Zieht man Parallelen zur Wirtschaft folgen ausbleibenden Investitionen meist Insolvenzen. Denn „Von der Gestalt der künftigen Tragödie wissen wir nichts“, hat Botho Strauß geschrieben. Ist die Welt erst mal kaputt, geht auch der Mensch kaputt.

Quelle

Matthias Hüttmann 2014Erstveröffentlichung SONNENENERGIE 1|2014 Februar März

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