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Mut zur Klima-Wahrheit

Alle wissen es, aber keiner der rund 20.000 Klimaexperten, die sich auf die Konferenz in Paris vorbereiten, will es offen sagen: Mit dem Paris Protokoll, das im Dezember 2015 beschlossen werden soll, lässt sich das 2 °Cmax Klimaziel nicht erreichen. Gastkommentar von Prof. Lutz Wicke, Klimaforscher

Die vorgesehenen unverbindlichen nationalen Beiträge (engl.. INDC) der Staaten werden den Klimawandel nahezu unvermindert fortschreiten lassen. Nur Hermann E. Ott (Ex-MdB der Grünen und Klimaexperte des Wuppertal-Instituts) hat sich im „Klimaretter“ völlig zurecht empört: „Warum steht denn keiner auf und brüllt: Der Kaiser ist ja nackt!“ Nur die Internationale Energieagentur (IEA) redet seit Jahren Klartext: Diese Klimapolitik führt in den „disastrous climate change“ .

Trotzdem kann – und muss – das Paris Protokoll als Überbrückungslösung hingenommen werden: Es stellt die völkerrechtliche Basis für den weiteren globalen Klimaschutz dar, schreibt das 2 °Cmax-Ziel offiziell fest und regelt Ausgleichszahlungen an Länder, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind.

Doch weil es den Klimawandel nicht aufhalten wird, sollten unabhängige Experten ab dem kommenden Jahr Kernelemente und eine Durchsetzungsstrategie für eine „Beyond Paris“-Weltklimaschutzpolitik erarbeiten. In dieser Phase darf nicht mehr die Einstimmigkeit bei Klimakonferenzen im Mittelpunkt stehen, die immer wieder zu faulen Kompromissen geführt hat, sondern nur noch das 2 °Cmax-Klimaziel.

Unwirksamkeit der Kyoto und Paris Protokolle

Die völlig unverbindlichen Versprechen von Einzelstaaten oder Ländergruppen, ihre Emissionen zu reduzieren, werden weitgehend bestimmt von nationalen ökonomischen, sozialen und wahltaktischen Aspekten. De facto werden die Beiträge von den meisten Staaten im Sinne eines „Klima-Klingelbeutel“-Systems interpretiert nach dem Motto „Jeder gibt so wenig wie er kann“ (Prof. Schellnhuber, PIK Potsdam).  Das bestätigen bereits jetzt die von den vier größten Emittenten angedeuteten Beiträge: China und Indien kommen zusammen auf etwa plus 9 Milliarden Tonnen bis 2030. EU und USA kommen gemeinsam auf minus ca. 2,6 Milliarden Tonnen. Selbst die Bundesregierung geht davon aus, dass in Paris lediglich „der Status quo der Minderungsmaßnahmen“ festgeschrieben wird“.

Mit den bisher angekündigten Beiträgen würden bis 2030 weiterhin 14 bis 17 Milliarden Tonnen Kohlendioxidäquivalent (CO2 p. a.) zuviel in die Atmosphäre emittiert, warnt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP. Das 2 °Cmax-Ziel, das gewährleisten soll, dass gemäß Weltklimarahmenvertrag UNFCCC gefährliche anthropogene Störungen des Weltklimasystems verhindert werden, kann sich so gar nicht erreichen lassen. Die IEA befürchtet deshalb einen Temperaturanstieg um 6 °C und mehr. Auch 17 renommierte Klimawissenschaftler, darunter Edenhofer und Schellnhuber vom PIK, haben jüngst in einem „Earth Statement“ vor einer solchen Entwicklung gewarnt.

Ziel: ein „Beyond Paris“-System

Das Paris Protokoll muss also durch eine wirklich wirksame globale Klimapolitik abgelöst werden. Wie lässt sich dieses Ziel erreichen? Eine Reihe völlig unabhängiger Top-Level-Wissenschaftler sollte schon 2016 beginnen, den „Beyond Paris“-Prozess vorzubereiten. Die Wissenschaftler müssen die Instrumente des Paris Protokolls daraufhin überprüfen, ob sich mit ihnen die Emissionen ausreichend senken lassen. Eine solche Evaluierung war schon im Kyoto Protokoll festgelegt. Stellt sich – wie zu erwarten ist – heraus, dass sich auf Basis eines Systems à la Paris oder Kyoto das Ziel nicht erreichen lässt, muss etwas Besseres entwickelt werden. Es wäre die zweite Aufgabe der Fachleute, Vorschläge für ein „Beyond Paris“-Abkommen zu erarbeiten. Im nächste Schritt  müssten dann alle Vertragsparteien bewegt werden, einem dieser Vorschläge zuzustimmen.

Global: Carbon Pricing oder Emissionshandelssysteme

Bereits jetzt lässt sich sagen, es wäre ratsam, für ein „Beyond Paris“-System den INDC-Ansatz fallenzulassen und stattdessen eine global wirkende Preis- oder Mengensteuerung der Emisionen zu vereinbaren. Noch immer gilt, was Ottmar Edenhofer, Klimapolitik-Experte des IPCC, 2009 gesagt hat: „Ohne ein globales Emissionshandelssystem kann das Klimaproblem nicht gelöst werden.“

Die Top-Level-Experten könnten für ihre Überlegungen auf eine Reihe bereits veröffentlichter Vorschläge für ein neues Weltklimaschutzsystem zurückgreifen. Diese Vorschläge stammen u. a. von Bundeskanzlerin Angela Merkel, von Weltwirtschaftsführeren des WEF , von der OECD, dem WBGU, der IEA, von Wissenschaftlern wie Ottmar Edenhofer, Hans Joachim Schellnhuber, Daniel Klingenfeld vom PIK, von Lutz Wicke sowie von Klaus Töpfer und Ernst-Ulrich von Weizsäcker sowie von einer Reihe internationaler Umweltökonomen.

Bildung einer New Climate Alliance von ca. 150 besonders klimaengagierten Staaten

Um ein neues Weltklimaschutzsystem durchzusetzen, muss der Widerstand von „Bremser“-Staaten überwunden werden. Das ist schon einmal gelungen: Bei der Klimakonferenz 2012 in Durban kam es zu einer „Klimaallianz“ aus EU, den afrikanischen Staaten, den kleinen Inselstaaten (AOSIS) sowie den am wenigsten entwickelten Staaten (LDC). Diese 120 Länder konnten das Kyoto Protokoll retten und den Grünen Klimafonds fixieren. Es besteht die Hoffnung auf eine noch breitere New Climate Alliance (NCA) ab 2020. Denkbar ist, dass sich etwa 150 der 192 Vertragsstaaten zusammentun. Denn zu diesem Zeitpunkt wird niemand mehr das Scheitern der bisherigen Klimapolitik leugnen können. Und auch die Forderungen nach mehr Klimagerechtigkeit werden lauter werden.

Durchsetzungsstrategie für ein wirksames „Beyond Paris 2025“

Praktisch könnten die Top Level-Experten ihre Vorschläge Anfang der 2020er Jahre einigen entscheidenden Politikern und Klimapolitik-Administratoren solcher Länder vorstellen, die die Keimzelle einer New Climate Alliance bilden könnten. Diese sollten entscheiden, welche Maßnahmen tatsächlich ergriffen werden müssen und weitere Koalitionspartner suchen. Mit einer zahlenmäßigen Dominanz bei den Weltklimakonferenzen sowie mit Hilfe weiterer internationaler Autoritäten mit hoher moralischer und politischer Bedeutung könnte sich die NCA konsequent für einen der „Beyond Paris“-Vorschläge einsetzen.

Sollte sie scheitern, müsste sich die Weltgemeinschaft eingestehen, dass die globale Klimapolitik am Ende ist. Den einzelnen Staaten bliebe dann nichts anderes übrig, als sich nach dem Motto „Jeder rette sich so gut er kann“ zu verhalten. Die politische und moralische Verantwortung für das Schicksal aller Menschen, deren Lebensgrundlage durch den Klimawandel zerstört wird, läge bei den Verweigerern von „Beyond Paris 2025“.

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„Wir brauchen eine neue Klimapolitik“
27.11.2014: Wenige Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz in Lima warnt der Umweltökonom Lutz Wicke in einem gemeinsamen Papier mit dem Journalisten Markus Schulte von Drach davor, die bisherigen Konstruktionsfehler der Klimapolitik in einem internationalen Klimaabkommen zu wiederholen. Wicke erläutert, warum die deutsche Klima-Außenpolitik eine Generalrevision braucht.
Vor Lima und Paris: Wie weiter nach dem Scheitern des Kyoto-Protokolls?

26.11.2014: Plädoyer für eine neue deutsche Klima-Außenpolitik. Die bisherige internationale Klimapolitik ist gescheitert. Ihr wichtigstes Ziel, den Klimawandel auf ein gerade noch zu verantwortendes Ausmaß zu beschränken, kann sie nicht verwirklichen. Von Lutz Wicke / Markus C. Schulte von Drach

Prof. Dr. Lutz WickeMarkus C. Schulte von Drach
Quelle

Prof. Dr. Lutz Wicke Institut für UmweltManagement (IfUM) 2014 | Unter Mitarbeit Dr. Markus C. Schulte von Drach 2014 | Lutz Wicke ist Direktor des Instituts für UmweltManagement an der ESCP Europe Berlin. Markus C. Schulte von Drach ist Redakteur für Politik, Gesellschaft und Wissenschaft bei Süddeutsche.de

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