Stabilität von Stromnetzen: Aus Sackgassen Durchfahrtsstraßen machen
Klimaschutz-Strategien wie die Energiewende führen dazu, dass viele neue Stromerzeuger ans Netz kommen.
Weil die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien aber schwankt, immer abhängig von der Stärke des Windes und der Kraft der Sonne, steigt die Gefahr von Instabilitäten im Stromnetz – und damit letztlich die von Monster-Blackouts. Um hiergegen etwas zu tun, haben Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) jetzt eine neuartige Methode zur Analyse nicht-linearer Systeme angewendet. Ihr Ergebnis: Wenn Sackgassen im Stromnetz an zusätzliche Verbindungen angeschlossen werden, erhöht sich die Netz-Stabilität deutlich. Eine Fallstudie zum Stromnetz in Skandinavien bestätigt das.
„Die billigste und daher am weitesten verbreitete Art, neue Stromerzeuger ans Netz anzuschließen, ist der Bau von einzelnen neuen Verbindungen, zum Beispiel von einem Netzknoten zu einem Kraftwerk“, sagt Peter Menck, Leit-Autor der in Nature Communications erschienenen Studie. „Das ist, wie wenn man in einem verzweigten Straßennetz einfach eine Sackgasse dazu baut.“
Um die Wirkung dieser Vorgehensweise auf das Stromnetz zu testen, haben die Wissenschaftler in einem Standardmodell der Elektro-Ingenieure größere Störungen simuliert. „Es zeigt sich, dass in der Nähe dieser wie Sackgassen ans Netz gebauten Stromleitungen die Widerstandsfähigkeit gegen Störungen merklich herabgesetzt ist“, so Menck.
„Hiergegen kann man aber ziemlich einfach etwas tun, nämlich indem ein paar wenige Stromtrassen hinzugefügt werden“, sagt Menck. Offenbar ermöglichen es diese neuen Verbindungen, dass aus den Sackgassen gleichsam Durchgangsstraßen werden. Die Störungen stauen sich nicht an einer Stelle, sondern zerfließen im Netz in viele Richtungen, so dass technische Schutzvorrichtungen an den Netzknoten damit fertig werden.
Erstmals wurde ein neuartiges mathematisches Konzept konkret angewendet
Diese Erkenntnisse wurden möglich, weil die Forscher zum ersten Mal ein neuartiges mathematisches Konzept zur Quantifizierung von Stabilität angewendet haben, das am PIK entwickelt wurde. „Von Energienetzen bis hin zum Dschungel des Amazonas oder zu Zellen im Körper des Menschen – dies alles sind Systeme, die mehrere verschiedene stabile Zustände annehmen können“, erklärt Jürgen Kurths, Leiter des PIK-Forschungsbereichs ‚Transdisziplinäre Methoden und Konzepte‘ und Ko-Autor der Studie.
„Um sogenannte Monster-Stromausfälle zu verstehen, oder ein Absterben des Regenwaldes oder Krebs, muss man die Stabilität von Systemen in Zahlen fassen können – und genau dazu sind wir jetzt in der Lage“, so Kurths. Das Konzept sieht die verschiedenen stabilen Zustände eines Systems als Punkte in einer bergigen Landschaft, mit steilen Felsen und tiefen Tälern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein System nach einem starken Stoß wie ein Ball in eine bestimmte Senke zurückrollt, hängt von der Größe dieses Tals ab.
Ein Blackout ist teurer als ein paar neue Leitungen
„Im Vergleich zu den möglichen Kosten eines Blackouts ist der Zubau von ein paar neuen Verbindungsleitungen ganz sicher bezahlbar“, sagt Ko-Autor Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des PIK. „Die neue Studie ist ein Beispiel dafür, dass innovative Lösungen – in diesem Fall sogar auf der Grundlage bereits heute verfügbarer Technologien – helfen können beim Umbau unseres Energiesystems. Ein Umbau, der aus vielen guten Gründen geschieht, nicht zuletzt natürlich zur Stabilisierung unseres Klimas.“
Artikel: Menck, P.J., Heitzig, J., Kurths, J., Schellnhuber, H.J. (2014): How dead ends undermine power grid stability. Nature Communications [DOI:10.1038/ncomms4969]
Weblink zu Nature Communications
Weblink zu der Studie, in der das zugrundeliegende mathematische Konzept erstmals veröffentlicht wurde.
Quelle
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) 2014