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Wie die schwarz-gelbe Bundesregierung vier Jahre lang die deutsche Autoindustrie bediente

Deutsche Umwelthilfe zieht Bilanz einer beispiellos willfährigen Politik der schwarz-gelben Regierung gegenüber den deutschen Autoherstellern.

Minister Rösler verweigert vor der Bundestagswahl trotz EuGH-Beschluss Einsicht in interne Akten

Die Regierung Merkel/Rösler hat die traditionell autofreundliche Politik ihrer Vorgänger in den vergangenen vier Jahren auf die Spitze getrieben. Zulasten von Klima- und Gesundheitsschutz agierten Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), sein Amtsvorgänger, der FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle, aber auch Kanzlerin Angela Merkel selbst vielfach als Erfüllungsgehilfen der deutschen Autohersteller. So lautet das Resümee der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) nach einer Legislaturperiode Schwarz-Gelb, das die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation heute in Berlin vorstellte.

„Zuletzt brüskierte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühsommer die EU-Mitgliedsstaaten mit ihrem persönlichen Sondereinsatz für die deutschen Autohersteller, als sie einen bereits mit deutscher Beteiligung ausgehandelten Kompromiss zwischen EU-Kommission, EU-Mitgliedstaaten und EU-Parlament zu den geplanten Pkw-Effizienzgrenzwerten nachträglich persönlich zertrümmerte. Dies war ein absolutes Novum in der EU-Geschichte, aber doch nur der Schlusspunkt unter eine vier Jahre währende Dauerübung“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Bei ihrem Kampf gegen den mühsam im so genannten Trilog erzielten Kompromiss zu einer neuen Regelung von CO2-Grenzwerten für Pkw war Merkel nicht davor zurückgeschreckt, EU-Partner persönlich für eine „Unterstützung“ der deutschen Position unter Druck zu setzen. Ziel war es, insbesondere Autobauer aus Süddeutschland ruhig zu stellen, die mit dem zuvor erzielten Ergebnis nicht zufrieden waren.

Aktuell nun ziehe Bundeswirtschaftsminister Rösler alle taktischen und juristischen Register, um vor dem Wahltermin am kommenden Sonntag die von der DUH über mehr als drei Jahre und zuletzt vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erstrittene Herausgabe interner Akten zu verhindern. Diese würden nach Überzeugung der DUH die enge Abstimmung einer gesetzlichen Regelung seines Amtsvorgängers Rainer Brüderle zur Energieverbrauchskennzeichnung von Pkw mit der Automobilindustrie offenbaren. Der EuGH hatte Mitte Juli den Anspruch der DUH auf Einsicht in die Akten zum Zustandekommen der umstrittenen Rechtsverordnung (Az. C-515/11) bestätigt.

Daraufhin hatte das Verwaltungsgericht Berlin das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) aufgefordert, bis zum vorvergangenen Freitag (6.9.) entweder die Akteneinsicht nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) zuzulassen oder aber detailliert darzulegen, warum dies nicht geschehe. Das BMWi ließ nach der Aufforderung des Verwaltungsgerichts zunächst Wochen verstreichen, um dann lapidar mitzuteilen, dass es eine Akteneinsicht bis zum vorgegebenen Termin nicht geben könne.

Begründung: Weitere Prüfungen seien erforderlich, eine Stellungnahme sei erst nach der Bundestagswahl möglich. „Philipp Rösler brüskiert mit seiner Weigerung das höchste europäische Gericht, um die Kumpanei seines Amtsvorgängers Rainer Brüderle mit den Autoherstellern gegen die Interessen von Verbrauchern und Klimaschutz nicht vor der Bundestagswahl offenbaren zu müssen“, so Resch.

Die Ausgestaltung der Rechtsverordnung zur Energieverbrauchskennzeichnung von Pkw hatte 2010 bundesweit Proteste ausgelöst, weil auf ihrer Grundlage schwere spritdurstige Limousinen aus deutscher Produktion wie der Audi Q7 mit hohem Spritverbrauch in eine bessere Effizienzklasse eingestuft werden als Kleinwagen wie der Citroen C1. Dafür sorgt eine spezielle, auf das Fahrzeuggewicht bezogene Systematik bei der Einteilung der Effizienzklassen, die schwere Fahrzeuge massiv bevorzugt und auf die sich der damalige Bundeswirtschaftsminister Brüderle nach eigenen Angaben vorab mit den deutschen Automobilherstellern verständigt hatte.

Während das BMWi nun seinen höchstrichterlich attestierten Rechtsbruch fortsetzt, hatte das Bundesumweltministerium (BMU) unmittelbar nach Bekanntwerden des EuGH-Beschlusses mitgeteilt, man werde ab sofort die europarechtswidrige alte Regelung, die die Akteneinsicht beschränkte, nicht mehr anwenden.

Die beispiellose Nähe der aktuellen schwarz-gelben Bundesregierung zur deutschen Automobilindustrie belegt die DUH anhand zahlreicher weiterer Beispiele.

  • Millionen von Autokäufern sind von der Weigerung der Bundesregierung betroffen, etwas gegen die immer höheren Abweichungen zwischen den von den Autoherstellern genannten Normverbräuchen und deren realem Spritdurst zu tun. Die DUH hatte mehrfach auf diese behördlich geduldete Verbrauchertäuschung hingewiesen, die während der schwarz-gelben Regierungszeit erheblich zugenommen hat und eine amtliche Nachprüfung der Herstellerangaben, insbesondere bei besonders drastischen Abweichungen, gefordert. Bis heute weigert sich die Bundesregierung, entsprechende Nachprüfungen durch das Kraftfahrtbundesamt zu veranlassen. Weil die Kfz-Steuer seit 2009 eine CO2-Komponente enthält, müssen nicht nur Autokunden mehr für Sprit aufwenden, als sie beim Autokauf erwarten, sondern auch die Staatskasse leidet. Nach Berechnungen der DUH entging dem Bundesfinanzminister auf diese Weise bis Ende 2012 fast eine dreiviertel Milliarde Euro aus der Kfz-Steuer.
  • Bei der Elektromobilität, deren völlig unrealistische Ziele die Bundeskanzlerin vergangene Woche bei der IAA erneut beschwor, finanzierte die Bundesregierung im dreistelligen Millionenbereich auch unsinnige Prestigeobjekte der Autobauer selbst. Zwei negative Highlights: Der Bund sponserte ausgerechnet die Entwicklung eines Elektrofaltrads des Autobauers BMW mit mehr als einer Million Euro – für den Einsatz bei den Olympischen Spielen in London. Porsche erhielt knapp 850.000 Euro zur „Förderung der Nutzerakzeptanz“ ihres Luxus-Sportwagens Panamera Plug-In Hybrid für den Gäste-Shuttle süddeutscher Luxushotels.
  • Gleichzeitig hat die Bundesregierung sämtliche Förderprogramme zur Minderung der verkehrsbedingten Luftbelastung eingestellt. Für Fahrzeughalter, die ihren Diesel-Pkw mit einem Partikelfilter nachrüsten und so zur Minderung der gesundheitsschädlichen Dieselabgase beitragen wollen, gibt es derzeit keine finanzielle Unterstützung. Stattdessen verwendete sich die Bundesregierung in Brüssel erfolgreich dafür, die zulässigen Partikel-Emissionen von Benzin-Pkw mit Direkteinspritzern bis 2017 auf einem zehnmal höheren Niveau festzulegen als für moderne Diesel-Pkw.
  • Bei der periodischen Abgasuntersuchung (AU) plant die EU-Kommission eine Verbesserung der derzeit gültigen Vorgaben, so dass Fehler bei der Abgasreinigung verlässlicher als bislang erkannt werden können. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat bereits angekündigt, dass er einer Bitte des VDA-Präsidenten Matthias Wissmann (früher selbst CDU-Verkehrsminister) nachkommen und in Brüssel jede Art von Verschärfung zurückweisen werde. Sollte sich Ramsauer mit dieser Haltung im EU-Ministerrat durchsetzen, werden auch künftig fehlerhafte Systeme bei der Abgasreinigung unerkannt bleiben. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund massiver verkehrsbedingter Luftbelastung in Deutschland und Europa und EU-weit rund 420.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr, die auf diese Belastung zurückzuführen sind.
  • Spitzenpolitiker werden gerne als Werbetreibende für Produkte deutscher Autohersteller eingesetzt. Hier findet eine „ganz persönliche Beziehungspflege“ der Hersteller beim Einsatz ihrer Premium-Fahrzeuge statt. Früher bestehende Begrenzungen der Fahrzeuggröße für Staatssekretäre, Minister und Regierungschefs werden zwischenzeitlich über spezielle Leasingmodelle unterlaufen, mit denen oft besonders spritdurstige Modelle mit bis zu 70 Prozent Sonderrabatt empfohlen werden.

Resch erinnerte schließlich auch an den Fall des noch amtierenden Staatsministers im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), der zum Ende der Legislaturperiode „ganz zwang- und übergangslos und ohne falsche Scham“ als Cheflobbyist zu Autohersteller Daimler wechselt. Resch sagte, die schwarz-gelbe Bundesregierung habe „sich in beispielloser Weise zum verlängerten Arm der mächtigen deutschen Autoindustrie gemacht.“ Deshalb müsse es in der bevorstehenden Legislaturperiode „eine klare Entkopplung von Autoindustrie und Bundesregierung geben.“ Im Einzelnen forderte der DUH-Geschäftsführer:

  • Die rechtskonforme Offenlegung von Regierungsakten zum Zustandekommen von gesetzlichen Regelungen/Verordnungen, die die Autoindustrie betreffen
  • Ein Verbot des „Ghostwritings“ von Gesetzen und Verordnungen durch die Automobilindustrie
  • Einführung einer Karenzzeit von mindestens einem Jahr beim Politikerwechsel in die Wirtschaft
  • Die Einführung von Kontrollen bei Spritverbrauchsangaben von Pkw-Neufahrzeugen durch das Kraftfahrtbundesamt, wenn die Abweichungen oberhalb der vom Bundesgerichtshof festgelegten Toleranzschwelle von 10 Prozent liegt
  • Begrenzung der Rabatte beim Kauf bzw. Leasing von Politiker-Dienstwagen auf den Satz, der im Durchschnitt für die Fahrzeugflotte des jeweiligen Herstellers an die entsprechende Landes-/Bundesregierung gewährt wird und Veröffentlichung dieser Daten.
Quelle

Deutsche Umwelthilfe 2013

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