Die zehn energiepolitischen Kardinalfehler des Robert Habeck
Eine konstruktive Kritik – von Stefan Gsänger
Robert Habeck hat derzeit in der Öffentlichkeit ohne Zweifel keinen leichten Stand, so wie seine Partei insgesamt. Es gibt zahllose Attacken, die nichts mehr mit einer rationalen, demokratischen Auseinandersetzung zu tun haben. Gerade in dem sehr umkämpften Bereich der Energiepolitik, bei dem es um die Umverteilung riesiger ökonomischer Umsätze geht, spielen dabei im Hintergrund oft die Interessen der fossilen Energiewirtschaft eine Rolle, die jegliche Änderung des Status Quo behindern wollen. Gerade diese diffizile Situation erfordert es umso mehr, dass es unabhängige, kritische Stimmen gibt, die die Arbeit des Ministeriums begleiten. Denn Kritik darf nicht nur von den Saboteuren der Energiewende kommen, sonst tritt die viel zitierte Diskursverschiebung ein und extreme Positionen bestimmen unverhältnismäßig mit, was die Öffentlichkeit als “normal” oder ausgewogen wahrnimmt.
Nicht nur Robert Habeck, auch die Energiewende befindet sich in einer schwierigen Phase. Nachdem sie in den frühen Jahren vor allem von einer Graswurzelbewegung vorangebracht wurde, versuchen inzwischen die etablierten Energiekonzerne, die Entwicklung zu kontrollieren – indem sie bestimmte Entwicklungen boykottieren, so viel wie möglich des Geschäftsfeldes Erneuerbare Energien selbst übernehmen und Konkurrenz ausbooten, oft auch mit Scheinlösungen wie “blauem Wasserstoff”. Jedoch ist langfristig die Dezentralisierung der Energieversorgung unvermeidbar und die entscheidende Frage ist, ob die Politik dies wie derzeit eher blockiert oder proaktiv fördert.
Gerade in einem solchen Umfeld ist die Rolle des Energieministers wichtiger als je zuvor. Er muss dafür sorgen, dass sich neue Strukturen entwickeln können, die den Erneuerbaren Energien gerecht werden. Aufgrund des dezentralen Charakters der Erneuerbaren Energien bedeutet dies vor allem, dass die Energiewende von unten nach oben gedacht, konzipiert und implementiert werden muss. Entsprechend wichtig ist es, dass das Ministerium und die nachgeordneten Behörden dafür sorgen, dass alle maßgeblichen Akteure mindestens gleiche Chancen auf dem Energiemarkt haben. Und Chancengleichheit bedeutet nicht, dem neoliberalen Mantra gerecht zu werden, im Sinne eines absoluten Vorrangs kapitalistischer, profitorientierter Interessen – die oft sogar mit den genannten Scheinlösungen einhergehen.
Wenn wir uns die derzeitige Situation der Energiewende in Deutschland betrachten, dann gibt es auch einige Lichtblicke: der Vorrang für Erneuerbare Energien wurde gesetzlich verankert, der Ausbau der Solarenergie läuft insgesamt befriedigend. Allerdings hat die Energiewende noch nicht die Fahrt aufgenommen, die nötig wäre, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Besonders augenfällig ist das bei der Windenergie, aber auch beim Biogas und insgesamt bei den Sektoren Gebäude und Verkehr. Und bei der Integration der Erneuerbaren Energien ist Deutschland technologisch gesehen längst in die dritte Liga abgestiegen.
Es ist offensichtlich, dass diese Probleme bei der Umsetzung der Energiewende sehr viel damit zu tun haben, dass im Ministerium die Energiewende von oben nach unten gedacht und konzipiert wird. Die zahlreichen gesellschaftlichen Kräfte, die die Energiewende in Wahrheit tragen, vor allem auf lokaler, kommunaler Ebene, werden nicht oder kaum wahrgenommen, oft sogar marginalisiert – anstatt dafür zu sorgen, dass sie eine treibende Rolle übernehmen können.
Und vor allem werden damit die einmaligen Chancen ignoriert, die darin bestehen, dass eine dezentrale Energiewende auch zu einer stärkeren Demokratisierung eines zentralen Wirtschaftssektors führt. Dezentrale Bürgerenergiewende bedeutet, dass sie den Vielen nutzt, dass die Bürgerinnen und Bürger im Zentrum stehen, und zwar als Akteure und auch als Nutznießer. Wenn die Menschen im ganzen Land merken, dass die Energiewende von ihnen gestaltet werden kann und dass sie handfeste, auch finanzielle Vorteile davon haben, dann werden viele zu aktiven Unterstützern, auch ehemalige Gegner lassen sich letztendlich so überzeugen. Dieser Befund ist längst auch empirisch durch Studien belegt.
Durch einen Mangel an lokaler Unterstützung entsteht umgekehrt aber ein Teufelskreis, denn es werden die notwendigen und eigentlich auch realistischen Ausbauziele nicht erreicht und die Regierung setzt auf an sich unnötige Importe, was den falschen Fokus noch verstärkt.
Es gibt eine Reihe von sehr grundlegenden und konkreten Fehlentscheidungen, teils sicher bewusst herbeigeführt, die dem Leitbild einer dezentralen Bürgerenergiewende entgegenlaufen und damit den breiten Erfolg der Energiewende verhindern. Die weitreichendsten davon sind:
Überdimensionierter Ausbau der LNG-Infrastruktur
Unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine bestand die Gefahr, dass Deutschland kurzfristig nicht mehr ausreichend Erdgas beziehen kann und die Bundesregierung bemühte sich erfolgreich um Ersatzlieferungen. Nach Einschätzung von Experten ist die jetzt dafür vorgesehene Infrastruktur aber völlig überdimensioniert, vor allem in Hinblick darauf, dass Deutschland in den nächsten Jahren den Einsatz von Erdgas massiv reduzieren und letztlich ganz stoppen will – und dies auch technisch möglich ist, etwa durch die verstärkte Nutzung von Wärmepumpen. Durch den überdimensionierten LNG-Ausbau fehlt langfristig ein wichtiger Anreiz für einen endgültigen Erdgas-Ausstieg.
Subventionen für neue fossile Wasserstoffkraftwerke statt Ausbau dezentraler Speicher
Die Rolle von Wasserstoff in der künftigen Energieversorgung lässt sich heute nicht endgültig abschätzen. Aufgrund der geringen Effizienz wird die Rolle von Wasserstoff vermutlich deutlich geringer ausfallen als oft prognostiziert, zumal vielfach technische Alternativen zur Verfügung stehen, die sich aus heimischen Erneuerbaren Energien speisen – anstatt auf obsolete Importe von Wasserstoff zu setzen. Die von Habeck vorangetriebene Kraftwerksstrategie sieht jedoch sogar den Einsatz von fossilem Wasserstoff vor und will dies subventionieren. Gleichzeitig entwickeln sich aber Batteriespeicher rasant, auch in Form von Elektroautos. Windräder werden abgeregelt, anstatt den Strom lokal sinnvoll zu nutzen, zum Beispiel durch verstärkte Koppelung mit Wärmepumpen. Und das schon genutzte Potenzial von Biogas als Speicher liegt weitgehend brach.
Verpressung von CO2 – genannt CCS/CCU – als Lebensverlängerung für die fossile Energiewirtschaft
Durch Maßnahmen, die weiter die Verbrennung fossiler Rohstoffe ermöglichen, wird die Energiewende letztlich erheblich verzögert. In diesem Sinn passt die von Habeck gewollte Verpressung von CO2 unter dem Meeresboden zwar zur fossilen Kraftwerksstrategie, konterkariert aber das Ziel, in absehbarer Zeit die Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien umzustellen. Letztlich nutzt es erheblich der fossilen Energiewirtschaft, die nun sogar die Aussicht hat, neue fossile Kraftwerke längerfristig betreiben zu können. Dies hat negative Auswirkungen bis hin zur kommunalen Ebene, da scheinbar der Handlungsdruck reduziert wird, die Erneuerbaren Energien vor Ort massiv auszubauen.
Biogasanlagen abschalten anstatt zu flexibilisieren
Biogas trägt heute etwa 10% zur Stromversorgung bei. Derzeit wird Biogas allerdings nicht flexibel eingesetzt, was technisch ohne Probleme möglich wäre. Durch mangelnde politische Rahmenbedingungen drohen nun in den nächsten Jahren dutzende von Biogasanlagen ihren Betrieb einzustellen und stehen dann nicht mehr als steuerbare Leistung zur Verfügung. Dem gilt es eigentlich politisch entgegenzuwirken, was aber nicht passiert – ein weiteres großes Versäumnis. Biogas ist bei allen Schwächen kurz- bis mittelfristig eine sehr gute Speicherlösung und sein sinnvoller Einsatz kann zudem die positive Einbindung der Landwirtschaft in die Energiewende gewährleisten.
An Ausschreibungen und am alten Strommarktdesign festhalten statt echte Innovation zu fördern
Die Ausschreibungen haben vor allem bei der Windenergie zu einem Einbruch des Marktes geführt, von dem sich der Markt bis heute nicht erholt hat. Vor allem kleinere Unternehmen wie lokale Genossenschaften können das Risiko eines ausbleibenden Zuschlags nicht auf sich nehmen, damit fehlt eine wichtige Säule für Akzeptanz und lokale Unterstützung. Ein Zurück zum Einspeisetarif, gegebenenfalls auch in Form eines Integrationstarifs, könnte dafür sorgen, dass solche Investoren auch langfristig Investitionssicherheit genießen, ohne die Strompreise zu belasten.
Nun droht allerdings sogar zusätzliche Unsicherheit auch für kleinere Solaranlagen, indem alle Anlagen sofort bei negativen Strompreisen abgeregelt werden sollen. Und, noch schlimmer, es ist die Rede davon, das Fördersystem komplett zu ändern. Dies führt jetzt schon zu einer weiteren massiven Verunsicherung, die wiederum vor allem lokale Investoren betrifft.
Energy Sharing nicht umsetzen
Die Europäische Union hat schon vor Jahren beschlossen, dass Mitglieder von Energiegemeinschaften, also etwa von Genossenschaften, ohne weitere Steuern oder Abgaben direkt den von der Gemeinschaft erzeugten Strom nutzen können. Dies wurde bis heute nicht in deutsches Recht umgesetzt, obwohl davon Millionen von Haushalte direkt und unmittelbar in Form niedrigerer Strompreise profitieren könnten. Dies wäre das wohl wirksamste Programm zur Steigerung der Akzeptanz für die Energiewende.
Ähnliches gilt auch für Mieterstrom und für direkte Stromlieferverträge zwischen Unternehmen, die anstelle eines pauschal subventionierten Energie-Strompreises einen Investitionsboom auslösen könnten.
Einseitig auf Übertragungsnetze anstatt auf Verteilnetze zu fokussieren
Da EE-Anlagen vor allem auf niedriger und mittlerer Spannungsebene einspeisen, sind diese Netze der Dreh- und Angelpunkt für die Energiewende. Überregionaler Lastenausgleich kann erheblich reduziert werden, wenn EE-Anlagen gleichmäßig über das Land verteilt installiert werden und wenn Integrationspotenziale vor Ort genutzt werden, indem also Verbrauch nahe an der Erzeugung stattfindet. Dazu müssen natürlich auch entsprechende Speicherkapazitäten vor Ort ausgebaut werden, dies gilt es ebenso wie die verbrauchsnahe Erzeugung massiv zu unterstützen.
Kommunikationsschwerpunkt auf Erzwingen anstatt auf Profitieren
Das Gebäudeenergiegesetz kann als Paradebeispiel für misslungene Kommunikation gelten – bei aller berechtigten Kritik an Hetzkampagnen von bestimmten Kreisen. Laut Umfragen lehnt eine deutliche Mehrheit ein Verbot von Gas- und Ölheizungen ab, eine deutliche Mehrheit wünscht sich aber einen verpflichtenden hohen Anteil von Erneuerbaren Energien bei der Wärmebereitstellung. Auf diesen Widerspruch hat Habeck nie angemessen reagiert. Die Kommunikation zur Energiewende müsste die Vorteile betonen und darauf hinweisen, dass die Bundesregierung die Menschen in die Lage versetzen möchte, in den Genuss dieser Vorteile zu kommen. Dafür müssen aber auch die substanziellen Voraussetzungen geschaffen werden.
Hofieren internationaler Investoren statt lokaler Genossenschaften
In Deutschland spielen vor allem lokale Investoren, Einzelpersonen, Genossenschaften, Stadtwerke, Landwirte etc eine tragende Rolle bei der Umsetzung und Finanzierung der Energiewende – oft gemeinsam mit lokalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Die Menschen im Lande verfügen über enorme Ersparnisse, die sie für sich gewinnbringend in die Energiewende investieren können. Daher sollten Investorenkonferenzen vornehmlich mit diesem Kreis stattfinden, anstatt mit internationalen Pensionsfonds. Damit würde die Bundesregierung auch mehr Wissen darüber sammeln, welche Bedürfnisse lokale Investoren überhaupt haben.
Widerstandslos, übergangslos und ersatzlos Elektroauto-Prämie abschaffen
Die Energiewende kommt im Verkehrssektor viel zu langsam voran, noch immer sind weit mehr als 80% der neu zugelassenen Fahrzeuge Verbrenner. Es gibt massive Propaganda mit Falschinformationen gegen Elektroautos, dem die Bundesregierung wenig entgegensetzt. Wenn auch durch das Bundesverfassungsgericht scheinbar erzwungen, hatte die kurzfristige Abschaffung der Kaufprämie für Elektroautos doch erhebliche negative Auswirkungen auf die Marktentwicklung. Es unterblieben alternative Anreize, die einen Zusammenbruch des Marktes zumindest abfedern würden. Dies ist auch vor dem Hintergrund sehr kritisch zu sehen, dass Elektroautos ja eine wichtige netzdienliche Funktion übernehmen können, darauf hätte der Energieminister deutlich hinweisen und für eine sinnvolle Lösung sorgen müssen.
Viele dieser Fehler hängen, wie oben schon beschrieben, damit zusammen, dass das Ministerium die Energiewende vornehmlich von oben nach unten, also aus Perspektive von Konzernen konzipiert. Dies schließt insbesondere die fossile Gaswirtschaft ein, die in den letzten beiden Jahren erstaunliche Lobby-Erfolge verzeichnen konnte. Dies lässt sich auch nicht mit den sicher nicht immer einfachen Koalitionspartnern begründen, denn die maßgeblichen Gesetzentwürfe wurden im Hause Habeck vorbereitet.
Eine große kommunikative Chance wurde auch direkt nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verpasst, als die Gesellschaft zu einem fundamentalen Richtungswechsel bereit gewesen wäre. Damals hätte ein sehr klares, positives Symbol sehr geholfen: die Ausrufung der energiepolitischen Zeitenwende und des Solarzeitalters. Diese Chance blieb ungenutzt.
Ein sozusagen ererbtes Problem besteht natürlich schon in der von den Vorgängerregierungen eingeleiteten und nicht konsequent durchhaltbaren Bepreisungsstrategie, die für die Menschen eben nicht in erster Linie die Vorteile der Erneuerbaren Energien positiv spürbar macht, sondern eine negative Assoziation zur Energiewende hervorruft. Damit einher gehen auch die jüngeren Konflikte mit der Landwirtschaft, die doch eigentlich eine sehr positive und tragende Rolle spielen könnte – wenn man ihr die Chancen dazu eröffnet.
Die Energiewende kann dann erfolgreich und vor allem rechtzeitig zu Ende gebracht werden, wenn alle Ebenen der Gesellschaft sie unterstützen. Energiepolitik muss und kann dem weit überwiegenden Teil der Menschen konkrete Vorteile bringen – wenn sie den letztlich unvermeidbaren Prämissen der Dezentralität folgt. Das erfordert einen Kurswechsel vor allem zu den oben genannten Punkten, was sich allerdings im Moment nicht abzeichnet. Erst wenn das gelingt, dann wird auch die Energiewende in Deutschland zum Erfolg und Deutschland kann auch wieder weltweit eine Führungsrolle übernehmen.
Quelle
Autor: Stefan Gsänger – Arbeitet seit mehr als 25 Jahren auf internationaler Ebene und auch vor Ort für die Energiewende. Veröffentlicht regelmäßig den Podcast #UpdateKlimaEnergie