Medienfreiheit in Demokratien bedroht
Medienfeindliche Rhetorik führender Politiker, restriktive Gesetze und politische Einflussnahme in Demokratien haben zu einer Verschlechterung der Lage für Journalisten und Medien weltweit beigetragen. Das geht aus der Rangliste der Pressefreiheit 2017 hervor, die Reporter ohne Grenzen am 26. April veröffentlicht hat.
In Ländern wie den USA, Polen oder Großbritannien tragen Spitzenpolitiker ihre Geringschätzung gegenüber Journalisten offen zur Schau. Zur weltweiten Verschlechterung hat auch das rücksichtslose Vorgehen der Regierungen in Ländern wie Ägypten oder Burundi beigetragen. In der Türkei hat sich die Lage für Journalisten und Medien im Zuge einer beispiellosen Repressionswelle seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer erneut verschlechtert. In Kriegs- und Krisenländern wie Syrien, Libyen oder dem Jemen sind Journalisten unverändert tödlichen Gefahren von allen Seiten ausgesetzt.
„Besonders erschreckend ist, dass auch Demokratien immer stärker unabhängige Medien und Journalisten einschränken, anstatt die Pressefreiheit als Grundwert hochzuhalten“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Demokratische Regierungen dürfen den Autokraten der Welt durch Überwachungsgesetze oder demonstrative Geringschätzung unabhängiger Medien keinen Vorwand für ihre Repression gegen Journalisten liefern.“
In knapp zwei Dritteln der 180 untersuchten Länder hat sich die Situation 201 verschlechtert. Dazu haben die Entwicklungen in demokratischen Ländern beigetragen. Immer wieder haben Politiker Journalisten verbal angegriffen und Regierungen Gesetze verabschiedet, die Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste ausbauen und Whistleblower bedrohen.
Die Rangliste der Pressefreiheit 2017 vergleicht die Situation für Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Untersucht wurde im Wesentlichen das Kalenderjahr 2016. Grundlagen der Rangliste sind ein Fragebogen zu allen Aspekten unabhängiger journalistischer Arbeit sowie die von ROG ermittelten Zahlen von Übergriffen, Gewalttaten und Haftstrafen gegen Journalisten. Daraus ergeben sich für jedes Land Punktwerte, die im Verhältnis zu den Werten der übrigen Länder die Platzierung in der Rangliste bestimmen. Je nach dem Abschneiden anderer Länder kann ein Land deshalb im Einzelfall in der Rangliste aufrücken, obwohl sich seine Punktzahl verschlechtert hat.
Deutschland hält sich unverändert auf Platz 16. Im vergangenen Jahr waren Journalisten erneut erschreckend vielen tätlichen Angriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Immer wieder geraten Medienschaffende ins Visier von Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdiensten. Bedenklich sind auch gesetzliche Regelungen wie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, der neu geschaffene Anti-Whistleblower-Paragraf gegen „Datenhehlerei“ und die neue BND-Gesetzgebung.
Pressefreiheit in Demokratien auf dem Rückzug
In den USA (Rang 43, -2 im Vergleich zum Vorjahr) hat die juristische Verfolgung von Investigativjournalisten und Whistleblowern besorgniserregende Ausmaße angenommen. Immer wieder werden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung über Demonstrationen vor Gericht gestellt. Präsident Donald Trump distanziert sich mit seinen systematischen Verunglimpfungen kritischer Medien von der langen Tradition der USA als Hüterin der Pressefreiheit.
Auch in Frankreich (39, +6) wurden Journalisten während des Wahlkampfes wiederholt verbal von Politikern angegriffen. Bei den Proteste gegen eine Arbeitsmarktreform im vergangenen Jahr gingen Polizisten mit Gewalt gegen Journalisten vor. In Großbritannien (40, -2) war feindselige Rhetorik insbesondere gegen die BBC integraler Teil der Brexit-Kampagne. Ein neues Gesetz, das die Überwachungsbefugnisse der britischen Geheimdienste drastisch ausweitet, schützt Journalisten und ihre Informanten nur unzureichend.
In Polen (54, -7) hat die nationalkonservative Regierung das öffentliche Fernsehen unter ihre Kontrolle gebracht. Mehr als 220 Journalisten wurden seit dem Machtwechsel im öffentlichen Rundfunk entlassen, zur Kündigung gezwungen oder auf weniger einflussreiche Posten versetzt. Die Regierungspartei PiS will private Medien „repolonisieren“. Regierungskritische Zeitungen stehen unter Druck, seit staatliche Firmen dort keine Anzeigen mehr schalten.
Auch in Staaten wie den Niederlanden (5, -3), Kanada (22, -4) und Neuseeland (13, -8), die führende Plätze auf der Rangliste der Pressefreiheit einnehmen, hat sich die Situation verschlechtert.
Spitzenreiter und Schlusslichter
Erstmals seit sechs Jahren muss Finnland (3, -2) den ersten Platz auf der Rangliste räumen. Ende 2016 stoppte der öffentlich-rechtliche Rundfunk YLE offenbar auf Druck von Ministerpräsident Juha Sipilä seine Berichterstattung zu mutmaßlichen Interessenkonflikten des Politikers. Im Frühjahr 2016 hatten die Finanzbehörden den Sender unter Androhung von Hausdurchsuchungen aufgefordert, die Panama Papers und alles damit zusammenhängende Material an die Behörden zu übergeben.
Vor Finnland nehmen nun Norwegen (1, +2) und Schweden (2, +6) die Spitzenplätze der Rangliste ein. Dazu tragen etwa liberale Regelungen über den Zugang zu Behördeninformationen sowie der Schutz journalistischer Quellen bei.
Eritrea (179) hat sich um einen Rang verbessert und steht damit erstmals seit zehn Jahren nicht mehr auf dem letzten Platz der Rangliste der Pressefreiheit. 2016 durften einige wenige ausländische Journalisten in das Land reisen und berichten, wenn auch unter strenger Aufsicht. Auf den letzten Platz ist Nordkorea (180, -1) gerückt – ebenso wie Turkmenistan (178, unverändert) eine Diktatur, die die Medien praktisch vollständig kontrolliert.
Pressefreiheit weltweit: Europa und Zentralasien
Die Türkei hat sich erneut um vier Plätze verschlechtert und steht nun auf Platz 155 der Rangliste. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 hat die Repression gegen unabhängige Journalisten und Medien ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Rund 150 Journalisten sitzen im Gefängnis, etwa 150 Medien wurden geschlossen und Hunderte Presseausweise annulliert. Der Medienpluralismus ist weitgehend zerstört, die wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien arbeiten in ständiger Angst. In den vergangenen zwölf Jahren hat sich die Türkei um insgesamt 57 Plätze auf der Rangliste verschlechtert.
Auch in Russland (148, unverändert) ging die Regierung weiter hart gegen kritische Medien vor. Die Staatsführung ersetzte im größten unabhängigen Medienhaus RBK kritische Journalisten durch kremltreue. Mehrere neue Strafgesetze setzen Internetnutzer verstärkt unter Druck und haben die Massenüberwachung ausgebaut.
Kroatien (74, -11) hat seine Platzierung unter den EU-Mitgliedstaaten am meisten verschlechtert. Dort entließ die Regierung im März 2016 den Generaldirektor des öffentlichen Rundfunks HRT und ersetzte ihn durch einen regierungstreuen Direktor.
Ungarn (71, -4) verschlechtert seinen Platz auf der Rangliste der Pressefreiheit zum vierten Mal in Folge. Im Oktober 2016 kaufte ein regierungsnaher Oligarch den Verlag Mediaworks, zu dem die zwei Wochen zuvor eingestellte Oppositionszeitung Nepszabadsag sowie zwölf Regionalzeitungen und eine Sporttageszeitung gehören.
In Spanien (29, +5) beschränkt ein neues Gesetz die Rechte von Journalisten, Informationen zu erhalten und zu verbreiten. Seit Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2015 wurden mindestens sechs Journalisten mit einem Bußgeld belegt.
Naher Osten und Nordafrika
Der Nahe Osten und Nordafrika bleiben die gefährlichste Region für Journalisten. In Ägypten (161, -2) sitzen mehr als 20 Journalisten wegen ihrer Arbeit in Haft – zum Teil seit Jahren ohne Urteil. Ein neues Mediengesetz sieht einen vom Präsidenten ernannten Medienrat vor. Dieser soll unter anderem die Finanzierung von Medienunternehmen untersuchen, Verstöße gegen die „nationale Sicherheit“ ahnden und das Recht der Bürger auf „freie und wahrhaftige“ Berichterstattung schützen.
Im Jemen (166, +4) wurden im vergangenen Jahr zwar weniger Journalisten als zuvor getötet. Doch sie laufen weiterhin Gefahr, durch die Huthi-Rebellen oder Al-Kaida entführt zu werden oder durch Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition getötet zu werden. Der jahrelange Krieg in Syrien (177, unverändert) hat das Land zum gefährlichsten Land für Journalisten weltweit gemacht. Allein im Jahr 2016 wurden dort mindestens elf professionelle Journalisten und acht Bürgerjournalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet.
Im Golfstaat Bahrain (164, -2) wurde mehreren Journalisten, die für internationale Medien arbeiten, die Verlängerung ihrer Akkreditierung verweigert. Regelmäßig stehen Journalisten, Fotografen und Blogger vor Gericht, die über Proteste berichten.
Asien
In China (176, unverändert) sitzen rund 100 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit in Haft. Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping geht die chinesische Führung mit neuer Härte gegen Kritiker vor. Die Behörden schrecken weder vor Entführungen noch physischer Gewalt gegen ihre Kritiker zurück. In Vietnam (175, unverändert) werden Blogger und Bürgerjournalisten massiv verfolgt, die praktisch die einzige Quelle für unabhängige Informationen sind. Derzeit sitzen mindestens 15 von ihnen wegen ihrer Arbeit in Haft.
In einigen Ländern bedrohen auch islamistische Gruppen Journalisten. In Afghanistan (120, unverändert) gehen die Taliban und der „Islamische Staat“ skrupellos gegen Medienschaffende vor, 2016 wurden mindestens zehn von ihnen wegen ihrer Arbeit getötet. In Bangladesch (146, -2) leben insbesondere säkulare Blogger gefährlich, die aufgrund ihrer Veröffentlichungen von islamistischen Gruppen angegriffen werden. In Pakistan (139, +8) sind kritische Journalisten im Visier von extremistischen Gruppen, islamistischen Organisationen und Geheimdiensten.
Die Philippinen verbesserten sich um elf Plätze auf Rang 127, auch weil die Anzahl der getöteten Journalisten im vergangenen Jahr zurückgegangen ist. Dennoch bleibt die Gewalt gegen Journalisten auf erschreckend hohem Niveau. Präsident Rodrigo Duterte, der seit Sommer 2016 im Amt ist, hat Morde an Journalisten öffentlich verharmlost.
In Neuseeland (13, -8) kündigte die Regierung im August 2016 ein Gesetz an, das „Leaks“ von Regierungsinformationen an Medien kriminalisieren könnte und die Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste drastisch erweitern würde.
Amerika
In Kolumbien (129, +5) hat das historische Friedensabkommen Ende 2016 einen 52-jährigen bewaffneten Konflikt mit der Rebellengruppe FARC beendet, der zu Zensur und Gewalt gegen Medien beigetragen hat. Im vergangenen Jahr wurde dort zum ersten Mal seit sieben Jahren kein Journalist wegen seiner Arbeit getötet.
Kuba (173, -2) bleibt das am schlechtesten platzierte Land auf dem amerikanischen Kontinent. Die außenpolitische Öffnung hat die verheerende Situation der Medien nicht verändert. Journalisten sind willkürlichen Verhaftungen, Drohungen, Verleumdungskampagnen und der Konfiszierung von Ausrüstung ausgesetzt.
In Brasilien (103, +1) beeinträchtigen die hohe Medienbesitzkonzentration und Morde an Journalisten die Pressefreiheit. In Honduras (140, -3) wird Gewalt gegen Journalisten kaum geahndet. In Peru (90, -6) bedrohen insbesondere Verleumdungsgesetze die Medienfreiheit. Wie gefährlich der Journalistenberuf im Land sein kann, zeigt der Fall des Radiomoderators Hernan Choquepata Ordonez, der im November 2016 während der Sendung erschossen wurde.
In Uruguay (25, -5) und Chile (33, -2) wurde von höchster Regierungsebene Druck auf Journalisten ausgeübt, um die Berichterstattung über Korruption, Veruntreuung oder Interessenkonflikte zu unterdrücken.
Afrika
Burundi ist im vergangenen Jahr vier Plätze auf Rang 160 gefallen. Der mächtige Geheimdienst SNR verhaftet und misshandelt Journalisten. Der Journalist Jean Bigirimana ist seit Mitte 2016 verschwunden. Angesichts der verheerenden Situation sind viele Journalisten ins Exil gegangen.
In Uganda (112, -10) wurde die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr begleitet von schwerwiegenden Verstößen gegen die Medienfreiheit. Dazu gehörten Drohungen, Medien zu schließen, Internetblockaden sowie verbale und tätliche Angriffe auf Reporter, die über den Oppositionskandidaten berichteten.
Nachdem der autokratische langjährige Präsident abgewählt wurde, hat die Regierung in Gambia (143, +2) angekündigt, Gesetze zu ändern, die die Medien einschränken. Im Sudan (174) und in Äquatorialguinea (171, -3) hingegen unterdrücken Staatschefs, die zu den schlimmsten Feinden der Pressefreiheit weltweit gehören, die Informations- und Meinungsfreiheit mit unverhohlener Zensur. In Tansania (83, -12) beschuldigte Präsident John Magufuli Zeitungen, seine Gegner anzustacheln, und drohte, ihre Tage seien gezählt.
Auf- und Absteiger
Größter Absteiger in der Rangliste der Pressefreiheit ist Nicaragua (92, -17). Die Wiederwahl von Präsident Daniel Ortega für eine dritte Amtszeit im November 2016 ging einher mit Zensur, Einschüchterung und Drohungen gegen unabhängige Journalisten. Medienschaffende werden schikaniert, willkürlich verhaftet oder bedroht.
Italien (52, +25) hat seine Platzierung um 25 Ränge verbessert. Dennoch gehört es zu den europäischen Ländern, in denen besonders viele Journalisten durch organisierte Kriminalität bedroht werden. Sechs Journalisten stehen wegen Todesdrohungen insbesondere durch die Mafia derzeit rund um die Uhr unter Polizeischutz.
Globaler Indikator der Pressefreiheit
Neben den einzelnen Platzierungen der Länder errechnet Reporter ohne Grenzen seit 2013 auch einen Indikator der Pressefreiheit weltweit. Dieser ergibt sich aus dem Durchschnitt der Indikatoren für die jeweiligen Weltregionen. Je höher der Indikator, desto schlimmer steht es um die Pressefreiheit. Der globale Indikator hat im vergangenen Jahr ein Rekordhoch erreicht und weist damit für 2016 einen eindeutigen Rückgang der Pressefreiheit weltweit aus. In den vergangenen fünf Jahren ist der Indikator sogar um 14 Prozent gestiegen.
Quelle
REPORTER OHNE GRENZEN 2017 | „Fotos für die Pressefreiheit“ erscheint immer am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit.