Wirtschaftsministerin Reiche kommt beim Gas nicht über Habeck hinaus
Ende des Jahres will Wirtschaftsministerin Reiche die ersten neuen Gaskraftwerke ausschreiben. Die öffentliche Finanzierung von Bau und Betrieb solcher Anlagen verstößt allerdings gegen das EU-Beihilferecht, stellt ein heute veröffentlichtes Gutachten der Kanzlei K&L Gates fest.
Auch nach Monaten wird Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) den Schatten ihres grünen Vorgängers im Amt nicht los. Vermutlich bereut Reiche schon, Robert Habeck bei der Amtsübergabe eine „fast übermenschliche Leistung“ bescheinigt zu haben.
Zu Habecks Leistungen gehörte auch, letztes Jahr bei der EU-Kommission 12.500 Megawatt neue Kraftwerksleistung genehmigt zu bekommen – darunter 5.000 Megawatt reine Erdgasanlagen, die der Versorgungssicherheit dienen sollten.
Die EU-Kommission stimmte auch Habecks Antrag zu, weitere 7.500 Megawatt wasserstofffähige und reine Wasserstoffkraftwerke fördern zu können, dazu Langzeitspeicher. Das wurde als Klimaschutzmaßnahme anerkannt.
Das folgende, auch noch von Habeck fertiggestellte Kraftwerkssicherheitsgesetz, um die 12.500 Megawatt auf den Weg zu bringen, bekam dann aber im Bundestag keine Mehrheit mehr.
Wirtschaftsministerin Reiche will nunmehr fast die doppelte Menge neuer Gaskraftwerke in die Welt setzen lassen. In Rede stehen sogar bis zu 35.000 Megawatt.
Wie schon bei Habeck können sich diese Kraftwerke nicht mehr allein über den Strommarkt finanzieren. Ergo wurde auch Reiche bei der EU-Kommission vorstellig. Die Verhandlungen um das neue Kraftwerkssicherheitsgesetz ziehen sich aber laut Medienberichten weiter hin.
Wegfall der Wasserstoff-Umstellung wird zum Problem
Ein großes Problem dabei ist, dass Reiche bei den neuen Kraftwerken nicht mehr vorschreiben will, dass sie nach einigen Jahren auf Wasserstoff umzustellen sind. Der Genehmigungsgrund Klimaschutz ist damit hinfällig, betont ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten, das von der Kanzlei K&L Gates im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erstellt wurde.
Als Grund, die Gaskraft-Beihilfe zu genehmigen, bleibt dann allein die Versorgungssicherheit, stellt das Gutachten fest. Die bisher geplanten 20.000 Megawatt wären dann genehmigungsfähig, wenn die Förderung wegen Marktversagens erforderlich wäre und zudem technologieoffen, angemessen und transparent ausgestaltet würde, so das Gutachten.
Diese Voraussetzungen sehen die Rechtsexperten aber als „nicht ausreichend“ erfüllt an. Beispielsweise bestünden erhebliche Zweifel an einem drohenden klaren Marktversagen.
Dafür führt das Gutachten mehrere Gründe an. So sei Deutschland Teil eines eng verflochtenen europäischen Strommarkts. Wenn in Nachbarländern Strom-Überkapazitäten vorhanden sind, lasse sich ein nationales Marktversagen in Deutschland nicht begründen, befindet das Gutachten.
Des Weiteren bemängelt es, dass eine Beihilfe Gaskraftwerken starke Wettbewerbsvorteile gegenüber klimafreundlicheren Lösungen wie Großbatteriespeichern verschaffen würde und sich so übermäßig negativ auf den Wettbewerb auswirke.
Auch sei nicht nachzuweisen, führt das Gutachten weiter aus, dass zur Versorgungssicherheit ausschließlich Gaskraftwerke gebraucht würden. Es stünden zahlreiche Alternativen bereit wie Stromspeicher, flexible Verbraucher oder ein stärkerer Netzausbau. Dazu kämen Stromimporte.
Beihilferecht kann Gaskraft nicht generell verhindern
Allerdings kann mithilfe des EU-Beihilferechts der Bau neuer Gaskraftwerke nicht generell verhindert werden. Nach Stand der Dinge sind also die unter der Vorgängerregierung bereits bewilligten 12.500 Megawatt – und davon 5.000 Megawatt ohne klimaneutrale Umrüstung – genehmigungsfähig.
„Diese Größenordnung bildete die Obergrenze dessen, was Brüssel damals als grundsätzlich genehmigungsfähig angesehen hat“, erläutert DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Allerdings gingen die jetzt geplanten 20.000 Megawatt neuer fossiler Gaskraftwerke weit darüber hinaus, betont er.
Seiner Ansicht nach kann Reiche beispielsweise die Habeckschen 5.000 Megawatt reiner Gasanlagen aber nicht zum Jahresende in einer ersten Tranche ausschreiben und später bis auf 20.000 einfach aufstocken. Eine 5.000er Tranche wäre die einzige, die beihilferechtlich legitim wäre – alle Pläne darüber hinaus seien nicht rechtmäßig, stellt Müller-Kraenner auf Nachfrage von Klimareporter° klar.
Der Umweltschützer hebt dabei hervor, dass die Einordnung der 5.000 Megawatt als genehmigungsfähig aus einer rein beihilferechtlichen Perspektive zu sehen sei. „Aus Klimaschutzperspektive sind bereits 5.000 Megawatt ohne Dekarbonisierungspfad nicht zu befürworten“, lehnt Sascha Müller-Kraenner jedes neue Gas-Megawatt ab.
Wirtschaftsministerin Reiche dürfe sich auf keinen Fall über geltendes EU-Recht hinwegsetzen, so der DUH-Chef. „Statt Milliarden in neue fossile Gaskraftwerke zu lenken, muss sie die bestehenden europäischen Regeln respektieren. Erneuerbare Energien, Flexibilität und Speicher müssen Vorrang genießen“, fordert Müller-Kraenner.
Für ihn ist die Vorfestlegung der Wirtschaftsministerin auf den Neubau fossiler Gaskraftwerke völlig aus der Zeit gefallen. „Wir fordern die Europäische Kommission auf, die Pläne der Bundesregierung zum Neubau von Gaskraftwerken kritisch auf ihre Vereinbarkeit mit den EU‑Klimazielen sowie beihilferechtliche Genehmigungsfähigkeit zu prüfen“, sagt Müller-Kraenner.
CCS bietet derzeit keinen Ausweg
Nach Ansicht des Rechtsgutachtens steht der Wirtschaftsministerin übrigens der Ausweg der CO2-Abscheidung und ‑Speicherung (CCS) nicht zur Verfügung, um Gaskraftwerke als Beitrag zum Klimaschutz deklarieren zu können.
Das Thema CCS sei zwar nicht vertieft untersucht worden, räumen die Gutachter ein. Das liege aber daran, dass aus dem Wirtschaftsministerium bislang keine konkreten Pläne oder verbindlichen Vorgaben für den Einsatz von CCS an Gaskraftwerken vorlägen.
Weder gebe es ein festes Umstellungsdatum noch eine Sanktionsregelung („Pönale“) gegenüber dem Kraftwerksbetreiber, falls die Dekarbonisierung nicht stattfinde. Ohnehin sei CCS an Gaskraftwerken technisch und wirtschaftlich kaum umsetzbar, erklärt die Umwelthilfe weiter.
Diese Einschätzung teilen übrigens auch die potenziellen Kraftwerksbauer, die den Einsatz von CCS an Bestands- und Neubauanlagen für nicht realistisch halten.
Gaskraftwerke würde, nebenbei gesagt, die Branche schon gern bauen – vorausgesetzt, es gibt üppige Zuschüsse und keinen verpflichtenden Termin, zu dem die Anlage auf klimaneutralen Brennstoff umzustellen ist.
Das galt übrigens schon unter Habeck. Der Gasbranche sind die jeweiligen Ansichten der Minister meist recht egal, die unter ihr Regierungsämter innehaben.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!







