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pixabay.com | Peter Trauter | Moor

© © pixabay.com | Peter Trauter | Die Wiedervernässung bisher trockengelegter Moorflächen trägt direkt zur Reduktion von Treibhausgasemissionen bei und ist eine unverzichtbare Klimaschutzmaßnahme. Entwässerte Moorböden setzten im Jahr 2020 mit circa 53 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalenten 7,5 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland frei.

„Wälder und Moore können uns helfen“

Umweltforscher Udo E. Simonis fordert, stärker auch auf den naturbasierten Klimaschutz zu setzen. Interviewer: Joachim Wille von klimareporter.de

Professor Simonis, Sie beobachten die internationale Klimapolitik seit über drei Jahrzehnten. Nicht einmal ein so radikaler weltweiter Eingriff wie Corona hat den Anstieg der Emissionen dauerhaft gebremst. Müssen wir die Hoffnung aufgeben, dass das 1,5-Grad-Sicherheitslimit halten wird?

Ich befürchte, ja. Und der Grund ist hausgemacht: Ein effektiver internationaler Vertrag bedarf staatlicher Verpflichtungen, das Pariser Klimaabkommen beruht aber auf freiwilligen nationalen Zusagen zu Emissionsminderungen. Ein 1,5-Grad-Pfad ist da nicht in Sicht.  

Aber wenigstens das Zwei-Grad-Limit, das der Paris-Klimavertrag mindestens fordert?

Viele, nahezu alle der jüngsten Trendeinschätzungen enden bei weit über zwei Grad. So findet denn auch das in Teilen hoch-riskante „Geoengineering“ zunehmend neue Unterstützer. Das Einbringen von Schwefelverbindungen in die Atmosphäre zur Abkühlung zum Beispiel, also sozusagen künstliche Vulkanausbrüche.

Sie fordern eine grundlegende Neuausrichtung der Klimapolitik. Was muss passieren?

Nicht nur ich fordere das, die „Fridays for Future-Bewegung“ tut es, und eine Reihe von wissenschaftlichen Instituten fordert dies auch. Wir brauchen eine naturbasierte Klimapolitik, die unter anderem konsequent die Aufforstung und die Renaturierung von Mooren fördert.

Die Wald-Option ist umstritten. Eine Schweizer Studie, die 2019 Furore machte, hat die Möglichkeiten der Aufforstung offenbar zu optimistisch eingeschätzt…

Das sehe ich völlig anders: Die Wald-Option wurde nie ernsthaft und in großem Stil betrieben. Die Studie der ETH Zürich hat aufgezeigt, dass der globale Waldbestand ohne größere Flächenkonflikte um 0,9 auf insgesamt 4,4 Milliarden Hektar aufgestockt werden könnte, womit das Potential einer solchen Re-Naturierung des Planeten Erde bei mehr als 500 Milliarden Bäumen liegen würde. Im vorletzten Jahr hat die Bevölkerung eines der ärmsten Länder Afrikas, Äthiopien, nach guter Vorbereitung an einem einzigen Tag 354 Millionen Bäume gepflanzt. Das war Weltrekord. In Deutschland ist der Waldbestand auf dem historisch niedrigsten Niveau.

Bei anderen CO2-Speichern gibt es auch Probleme. Moore zum Beispiel wurden trockengelegt, um sie landwirtschaftlich nutzen zu können. Die Bauern wehren sich, wenn sie die Flächen aufgeben sollen.

Anders denken, Herr Wille, nicht mehr ans Verhindern, sondern ans Ermöglichen! Die intakten Moore der Welt nehmen nur noch etwa drei Prozent der globalen Landfläche ein, binden aber ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs – etwa doppelt so viel wie die Wälder der Welt. In Deutschland sind rund 1,5 Millionen Hektar mit Mooren bedeckt. Doch nahezu 95 Prozent davon wurden entwässert, abgetorft oder bebaut, zumeist werden sie land- und forstwirtschaftlich genutzt. Verschiedene Untersuchungen haben ergeben, dass ein Hektar intakten Moors bis zu sechsmal mehr CO2 speichern kann als ein Hektar Wald. Angesichts dieser hohen positiven Klimarelevanz sollte – nein: muss – die Moor-Option in Zukunft unbedingt wiederendeckt beziehungsweise reaktiviert werden. Global könnten Moore neben den Wäldern im Kampf gegen die Klimakrise äußerst wichtig werden. Auch in Deutschland müsste dies höchste Priorität erhalten. Hohe CO2-Speicherung entsteht aber nur, wenn sie nass sind: „Moor muss nass“ lautet daher der Slogan dieser Art der Re-Naturierung.

Wieviel können die „naturbasierten“ Lösungen aber konkret bringen?

Die derzeitig bei uns diskutierten technikbasierten Lösungen der Klimapolitik sind gering an der Zahl: Im Wesentlichen geht es um Windkraft, Photovoltaik und (grünen) Wasserstoff. An relevanten naturbasierten Lösungen könnte ich Ihnen hingegen mindestens ein Dutzend aufzählen, neben den Wäldern und Mooren die Meere, die Steppen, den Biolandbau, den Agroforst, die Stadt-Natur, die Waldgärten, die Seegraswiesen, die Mangroven und andere mehr. Diese Vielfalt macht Ihre Frage interessant, aber auch sehr schwer zu beantworten. Über Windkraft, Photovoltaik und Wasserstoff wurde viel diskutiert – und wir wissen inzwischen viel darüber. Die Diskussion über naturbasierte Lösungen ist zwar international schon relativ weit fortgeschritten, in Deutschland aber eher noch unterentwickelt.

Gibt es denn Länder, die da schon mehr tun? Ist China ein Vorbild?

In China ist inzwischen viel geschehen. Hier war die Waldmehrung immer schon ein großes Thema, allerdings gegen die Wüstenausbreitung, nicht den Klimawandel. Eine Analyse des „Sustainable Development Index“ (SDI) zeigt die Rangfolge der Staaten, wenn es um „Nachhaltigkeit“ im strikten Sinne geht. An der Spitze dieser Liste lagen nicht, wie bei den traditionellen globalen Indices üblich, Norwegen, Schweden und die Schweiz. Sondern: Kuba, Costa Rica, Sri Lanka.

Und wie sieht es nun in Deutschland aus? Die neue Ampel-Koalition will ja beim Klimaschutz einen Quantensprung schaffen…

Es gibt im Koalitionsvertrag ein langes Kapitel über „Klima, Energie, Transformation“, ein Unterkapitel über „Natürlichen Klimaschutz“ sowie Kurzpassagen zum Meeresschutz, Wasserschutz und Bodenschutz. Das Kapitel über Klima ist voll technischer Projekte und Maßnahmen, geht aber im Grunde nicht über das hinaus, was schon seit längerem diskutiert wird. Das Unterkapitel nähert sich dem Thema der Re-Naturierung hingegen mit durchaus starken Absichtserklärungen. Hier tauchen einige interessante natur-basierte Politikelemente auf, die nun in ein überzeugendes Konzept einer klimapolitischen Doppelstrategie eingebaut werden müssten, das dann belegt: Zum aktiven Schutz des Klimas gibt es die technische Option, die „De-Karbonisierung“ von Wirtschaft und Gesellschaft, und es gibt die natürliche Option, die vielseitige „Re-Naturierung“ des Planeten. Da braucht es nicht das „Geoengineering“.

Prof. Dr. Udo E. Simonis | Foto: privat
Prof. Dr. Udo E. Simonis | Foto: privat

Udo E. Simonis ist emeritierter Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Er war unter anderem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung, Mitglied des UN-Committee for Development Policy (CDP) und Co-Vorsitzender der Task Force on Environmental Governance for China. Von 1991 bis 2016 war er Mitherausgeber des „Jahrbuch Ökologie“. Simonis ist Ehrenmitglied des Öko-Instituts und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Quelle

Mit freundlicher Genehmigung von Joachim Wille, der das Interview führte. Das Interview darf nicht weiter verbreitet werden!

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